Gestatten: Graf Dracula
15. Mai 2022Kokos-Ritter
22. Mai 2022Von der heiligen Insel zu den Kronjuwelen
Trauer nicht um ihn, dafür gibt es keinen Grund. Bedenke, wo er jetzt ist, die Walküren haben ihn nach Walhalla geleitet. Und während wir hier stehen, tafelt er bereits mit den Göttern.
18. Mai 2022 - Reisetagebuch Eintrag #86
- VON DER HEILIGEN INSEL ZU DEN KRONJUWELEN | geschrieben von Rene
Wir wandern entlang des St. Oswalds Way von Craster zum Dunstanburgh Castle. In Lindisfarne – der heiligen Insel – erkunden wir erneut die Spuren der Wikinger. Kurz darauf überqueren wir die Grenze zu Schottland und besuchen Edinburgh und finden dort jede Menge Whisky und Lord Voldemorts letzte Ruhestätte.
Vor einigen Jahren habe ich eine Serie entdeckt, die mich wirklich sehr gefesselt hat. Der Name: «Vikings». Sollte dir das gar nicht sagen, werden die nächsten Absätze vermutlich nicht sehr interessant – oder aber du kommst auf den Geschmack und ziehst dir ein paar Staffeln der Wikinger-Saga rein. Nun, worum geht es in «Vikings»? Zunächst einmal basiert die ganze Story auf historischen Wahrheiten. Aber man darf nicht alles als bare Münze nehmen. Im Gegenteil – ein Grossteil dieser Geschichte ist natürlich reine Fiktion. Aber die Eckdaten und die Ereignisse im Groben stimmen mit der Realität überein. Zumindest so viel man herausfinden konnte.
Die Geschichte der Wikinger und generell des Mittelalters ist nicht gerade leicht zu interpretieren. Warum? Ganz einfach – es fehlt an Aufzeichnungen. In der heutigen Zeit, mit der Medienflut und digitalen Datenträgern, die alles bis ins kleinste Detail speichern können ist das nicht mehr vorstellbar. Alle Ereignisse werden millisekundengenau protokolliert, gespeichert und archiviert. Das war im Mittelalter (und in der Zeit davor) natürlich nicht so. Deswegen stützen sich die meisten historischen «Fakten» auf Funde, Schriftrollen oder Steinbilder, Sagen und Erzählungen. Wie wir alle wissen wird auch in der heutigen Zeit bei einer Erzählung sehr gerne mal etwas dazu gedichtet, was vielleicht nicht ganz der Wahrheit entspricht. Je nach Zweck der Geschichte, Stimmung und Gesinnung des Geschichtenerzählers kann diese ganz schön blumig ausfallen, was natürlich die Realität doch ziemlich stark beeinflussen kann. Wenn man sich nun vorstellt, dass die Erzählungen und Geschichten des frühen Mittelalters sehr von der Laune und vor allem auch Abstammung des Schreibers abhängen, ist es nicht ganz einfach, die echte Wahrheit herauszufinden.
Während sich die Normannen, Wikinger und Dänen in ihrer Geschichte um den Krieg um England natürlich als Helden, grosse Krieger und Herrscher mit den einzig wahren Göttern gesehen haben, sieht die Sache aus Sicht der Angelsachsen schon ganz anders aus. Hinzu kommt, dass die Angelsachsen eine relativ hohe Kultur mit vielen Gelehrten hatten, die des Schreibens mächtig waren, während die nordischen Völker ihre Geschichten eher über mündliche Erzählungen und Sagen weitertrugen, um ihre Heroen zu ehren und in Erinnerung zu behalten. Entsprechend wenig ist daher auf dieser Seite an stichhaltigen Fakten zu finden. Nun aber zurück zum Thema und Schluss mit dieser langen Einleitung: Die Serie «Vikings» erzählt die Geschichte der Nordmänner (entweder aus Dänemark oder aus Norwegen und Schweden, so eindeutig geht es nicht hervor), wie sie einst mit ihrem Anführer Ragnar Lodbrok nach Westen segelten und die britische Insel (welche dazumal noch in viele kleinere Königreiche aufgeteilt war) angriffen. Und diese lange Geschichte beginnt mit einem Überfall auf eine kleine, von Mönchen besiedelte Insel namens «Lindisfarne» in Northumbria - auch bekannt als «Heilige Insel».
Nun, historisch belegt ist zumindest der Überfall der Nordmänner im Jahre 793 nach Christus auf Lindisfarne. Wahrheit oder Fiktion dahingestellt: rein schon aus geschichtlichem Interesse steht daher Lindisfarne bei uns auf der Liste der Dinge, die wir besuchen müssen.
Der Wind bläst uns hier an der Küste wieder einmal gehörig um die Ohren, aber trotzdem ist der Weg wunderschön. Die mit Sträuchern gesäumten Pfade werden teilweise von Schafen belagert, die uns ziemlich gelangweilt mit einem schielenden Auge beobachten, während sie weiterhin das saftig grüne Gras der Wiesen fressen. Dunstanburg Castle ist schon von Weitem sichtbar. Als wir das Schloss erreichen (Eintrittspreis 6 Pfund pro Erwachsenen – Stand 05/2022) sind wir schon recht durchgefroren, obwohl wir uns bis obenhin eingepackt haben. Ja für uns Warmduscher ist der kalte Norden einfach nichts. Wenn’s nur nicht so wunderschön hier wäre. Das Tickethäuschen wird von zwei netten Leuten betrieben, mit denen wir auch sofort ins Gespräch kommen. Bereitwillig erklärt er uns alles Wissenswerte über das Castle, angefangen von der Geschichte der Erbauung bis zur letzten aktiven Nutzung im zweiten Weltkrieg. Nebenbei erzählt er uns noch, dass er nun 36 Jahre verheiratet ist und seine Hochzeitsreise damals in die Schweiz ging. Es ist einfach schön, wie familiär hier alles abläuft. Vom Dunstanburg Castle – welches übrigens auch im Programm von English Heritage enthalten ist – ist nicht mehr besonders viel übrig. Lediglich der Hauptturm und ein paar Gemäuer rund herum stehen noch. Die Kulisse hingegen ist atemberaubend – auf einem Felsen an der Küste, auf einer leichten Anhöhe. Hier hätte ich auch ein Schloss gebaut. Kurz vor 5 Uhr verlassen wir das Anwesen, es ist sowieso Feierabend und der freundliche Mann vom Ticketschalter begleitet uns noch bis zum Ausgangstor mit. Vor uns liegen noch die 4 km Rückweg, aber es funktioniert alles perfekt und an dem wunderbaren Platz direkt an der Küste, an dem unsere Frida parkt, werden wir eine herrlich ruhige Nacht verbringen. Am nächsten Morgen geht’s nach Lindisfarne!
Wir versuchen immer zu sparen, wo es möglich ist. Und so finden wir auch einen kleinen Parkplatz am äusseren Rand der Insel, der nur über eine ziemlich holprige Strasse erreichbar ist. Aber immerhin ist er kostenlos, während die Parkplätze im Zentrum der Insel gleich mal 6 – 8 Pfund kosten. Dafür müssen wir halt ein paar Kilometer laufen. Tja, ist nicht immer ganz einfach, aber die Aussicht auf das Kommende motiviert uns. Das Lindisfarne Kloster – bzw. dessen Überreste – stehen auf dem Programm. Und das könnte kaum spannender sein – denn, siehe Geschichtslehrstunde weiter oben – sollen ja hier die Mönche von den ersten Wikingern, die in England gelandet sind – überfallen und, wenn man der Geschichte glauben darf, auch ziemlich brutal dahingeschlachtet worden sein. Ein sehr denkwürdiger Ort also, der massgeblich die Geschichte und definitiv den weiteren Verlauf der Entwicklung Englands beeinflusst hat. Denn die Wikinger sind gekommen um zu bleiben.
Obwohl der Wetterbericht bereits für den Vormittag schon ziemlich bescheidene Aussichten gestellt hat, haben wir trotzdem relativ schönes Wetter. Der Himmel ist zwar mit dicken Wolken durchzogen, aber Regen scheint keiner in Sicht. Als wir das Zentrum erreichen, tummeln sich hier ungewöhnlich viele Tagestouristen. Ja, die Insel ist tatsächlich ein Besuchermagnet, eben wegen genau dieser Geschichte. Doch es lässt sich gut verkraften, denn die Menschenmenge verteilt sich ja doch recht gleichmässig über das Eiland. Am Ticketschalter dürfen wir uns wieder freuen, denn die 10 Pfund pro Person Eintritt für das Kloster Lindisfarne können wir uns dank des English Heritage-Pass wieder sparen. Diese Investition in den Pass hat sich schon mehr als gelohnt. Vom Lindisfarne Prior selbst ist nicht mehr besonders viel vorhanden. Die Aussenmauern sind noch einigermassen intakt, im inneren Teil der Anlage sind jedoch fast nur die Grundmauern erhalten geblieben. Zudem ist man sich sicher, dass diese Klosteranlage zur Zeit des Einfalls der Nordmänner garantiert nicht so ausgesehen hat, ja sogar nicht mal dort gestanden hat. Denn die grosszügige Erweiterung der Anlage, auf deren Grundmauern wir nun blicken, wurde erst im 12. Jahrhundert vollzogen – der Überfall der Wikinger hingegen war bereits im Jahre 793, also mindestens 300 Jahre davor. Man geht davon aus, dass das ursprüngliche Kloster dort stand, wo heute die St. Marys Church steht. Die befindet sich jedoch direkt vor dem Eingang zum «neuen» Kloster, keine 50 Meter entfernt. Zusammenfassend wird sich daher alles mehr oder weniger in diesem Bereich zugetragen haben, wenngleich auch die Ruine nicht der Ort des Geschehens war, da es so in dieser Form noch nicht bestand.
Gegründet wurde das Kloster von schottischen Mönchen bereits im Jahre 635. Fortgeführt wurde es von Cuthbert, der auch der erste Bischof von Lindisfarne wurde. Nach dessen Tod wurden die Lindisfarne Gospels, ein Evangelienbuch, angefertigt, was Lindisfarne bereits zu dieser Zeit zu einem überaus beliebten Wallfahrtsort machte. Schnell wurde es zu einem Zentrum der keltischen Klosterkultur und berühmt durch seine Schreibschule. Von hier trieben die Mönche die Christianisierung Englands voran.
Der Überfall der Wikinger war übrigens durchaus nicht das Ende des Klosters, und es wurden auch nicht alle Mönche ausgelöscht, wie es in der Serie «Vikings» suggeriert wird. Dennoch - im Jahr 875, also erst 100 Jahre später, verliess Bischof Eardulf mit den Mönchen aus Furcht vor weiteren Wikingerüberfällen das Kloster auf Lindisfarne. Ab diesem Zeitpunkt war es vorübergehend vermutlich verlassen. Detail am Rande: Der Abt aus der betreffenden Vikings-Folge wurde «Cuthbert» genannt, der aber bereits im Jahre 687 – also über 100 Jahre davor – gestorben war. Der Mönch Athelstan, der zunächst in Gefangenschaft genommen und verschleppt wurde, ist vollkommen frei erfunden, und auch Ragnar Lodbrok wird eigentlich nicht mit der Invasion von Lindisfarne in Verbindung gebracht.
Wahrheit oder Fiktion – mich hat es jedenfalls dazu gebracht, mehr über die Geschichte von Lindisfarne – der heiligen Insel – herausfinden zu wollen. Somit kann man mit gutem Gewissen behaupten, das Fernsehen bildet - auch wenn man am besten selbst etwas nachhilft und recherchiert.
Wie ging es mit dem Kloster in Lindisfarne weiter? Nach dem Exodus im Jahr 875 kehrten erst um 1090 Benediktinermönche zurück, und im 12. Jahrhundert wurde auf der Insel neben den Resten des alten ein neues Kloster gegründet. Auf den Mauern des ursprünglichen Klosters wurde folglich die Pfarrkirche St. Mary errichtet. 1296 wurde Lindisfarne dann von Eduard I., auch bekannt als Edward Longshanks, aus der schottischen Herrschaft erobert und als englische Grenzfestung erweitert. Falls bei diesem Namen etwas klingelt: Ja, genau DER Edward, der William Wallace verfolgen und hinrichten hat lassen. Das Kloster genoss unter englischer Herrschaft trotz der Grenzlage einigen Wohlstand und wurde weiter ausgebaut. Im Jahr 1536 wurde das Kloster von einem alten Bekannten aufgelöst: Heinrich VIII. Tudor, der in den Jahren 1536 bis 1541 sämtliche Besitztümer klösterlicher Einrichtungen in England, Wales und Irland konfiszierte und verschacherte – wie auch die Fountains Abbey und die Rievaulx Abbey, die wir einige Tage davor besucht haben. Das Kloster Lindisfarne wurde aber nicht abgerissen. Im 18. Jahrhundert entstand wohl touristisches Interesse und die Gebäude waren bis 1820 noch gut erhalten. Doch trotz aller Anstrengungen des privaten Besitzers, das Gebäude zu erhalten, stürzte in den 1850er Jahren ein Grossteil der Anlage ein. Erst im 20. Jahrhundert wurden Ausgrabungen und fachgerechte Erhaltungsarbeiten vorgenommen.
Ein wirklich geschichtsträchtiger Ort, um den sich viele Sagen und Mythen drehen. Ehrfürchtig erkunden wir das alte Kloster und die gegenüberliegende Church Mary mit den alten, wuchtigen Grabsteinen aus den vergangenen Jahrhunderten. Vielleicht ist es reine Einbildung, aber es wirkt alles sehr mystisch und geheimnisvoll. Wir spazieren weiter auf eine Anhöhe, von der aus wir fast die ganze Insel überblicken können. Nicht nur die Mönche und Wikinger haben sich hier aufgehalten, auch für Vögel und die Pflanzenwelt ist dieses Fleckchen Erde etwas ganz Besonderes. Am Horizont werden die Wolken immer dunkler und wir entschliessen uns, langsam aber sicher unseren Heimweg zum Parkplatz anzutreten. Davor machen wir einen kurzen Abstecher in das Museum, bei dem die Geschichte über das Kloster interessant aufgearbeitet ist – von der Gründung bis zur Auflösung.
Auf unserem Rückweg rücken die Wolken immer näher, und nahezu punktgenau treffen wir am Wohnmobil ein – denn keine 10 Sekunden später fängt es an zu tröpfeln, um kurz darauf in einen wahren Platzregen überzugehen. Keine Seltenheit hier in diesen Breitengraden. Wir sehen, wie das Wasser wie an einem Wasserfall unsere Windschutzschreibe herunter rinnt und sind froh, dass wir es gerade noch trocken geschafft haben – wir wären nass bis auf die Unterhosen gewesen, wenn uns das erwischt hätte. 20 Minuten später ist der Zauber vorbei, und die Sonne strahlt vom Himmel als ob es noch nie anders gewesen wäre. Das bewegt uns dazu, noch einen kurzen Spaziergang über die Dünen hinter uns zu machen, bevor wir uns dann Abfahrbereit machen. Unser nächstes Ziel ist nicht mehr in England.
Wir steigen in der Princes Street aus und erkunden die Umgebung. Natürlich konzentrieren wir uns auf den Altstadtkern, der zu Fuss hervorragend erforscht werden kann. Mein Herz geht auf, als ich die vielen Whisky-Shops und Schottland-Krims-Krams-Läden sehe. Irgendwann in meinem Leben – vielleicht war es der Trip, den wir als Teenager gemacht haben – wurde ich zum Schottland-Fan. Es hat mich dazu gebracht, den Dudelsack spielen zu lernen und mich ein bisschen in die Welt der schottischen Single Malts einzuleben. Doch Schottland selbst habe ich seither nie mehr besucht. Umso mehr freut es mich nun, hier zu sein. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Im Herzen zumindest. Der erste Dudelsackspieler lässt auch nicht lange auf sich warten. Er steht touristisch perfekt platziert direkt am Aufgang zum Edinburgh Castle. Eine Menschentraube hat sich bereits um den Piper versammelt, die alle gerne ein Foto machen möchten. Für 1 Pfund darf man das auch. Das ist sicherlich ein gutes Geschäft und meine Frau schlägt mir ziemlich schnell mal vor, dass das eine hervorragende Einkunftsquelle wäre. Aber daraus wird nix.
Wir machen das, was alle Touristen in Edinburgh machen: wir besuchen das Castle. Der Eintritt beträgt läppische 17 Pfund pro Person (und für uns - dank English Heritage Mitgliedschaft - nur die Hälfte). Wenn man einen Audio-Guide dazuhaben möchte, löhnt man nochmals 4,50 Pfund. Das wäre sicher spannend gewesen, aber wir versuchen uns, ohne Guide durchzuschlagen. Immerhin kann man sich online eine Karte des Castles auf das Handy herunterladen, damit wir nicht ganz planlos herumirren.
Nach dem Schlossbesuch durchstöbern wir den Rest der wirklich schönen Altstadt. Verlaufen kann man sich hier nicht, es ist nicht so riesig, und man merkt es sofort, wenn man den Kern der Altstadt verlässt. Es gibt zahlreiche kleine, enge Gassen, Souvenirläden ohne Ende und natürlich gefühlt an jeder Ecke einen Whisky-Laden. Doch wer meint, dass er in Schottland günstiger an seinen Single Malt kommt, wird schnell eines Besseren belehrt. Sie sind schön anzuschauen und phantastisch dekoriert, aber billiger ist hier gar nichts – eher das Gegenteil.
Wir kommen am Greyfriars Kirkyard vorbei. Dem Friedhof, auf dem es angeblich am meisten spuken soll. Er hat wirklich eine sehr mystische Ausstrahlung, und die mit vielen Skulpturen verzierten Gräber und Gruften wirken wie aus einem Gruselroman. Man kann sogar abendliche Führungen buchen und sich selbst davon überzeugen, ob es hier spukt oder nicht. Etwas unfreiwillige Berühmtheit erlangte die Grabstätte eines gewissen Herrn Thomas Riddel. Wir wussten es zwar nicht, aber echte Harry Potter-Fans werden jetzt hellhörig: denn Tom Riddle war der Name des jungen Mannes, der später zum gefürchteten Lord Voldemort wurde. Harry Potter-Erfinderin J.K. Rowling hat einmal gemeint, dass sie früher häufig auf diesem Friedhof spazieren war und den Namen eventuell dort unbewusst aufgeschnappt hat. Der arme Herr Riddel wurde immerhin 72 Jahre alt und hat mit dem gefürchteten Lord in Wahrheit natürlich nichts zu tun. Selbstverständlich irren auch wir wie die Blöden auf dem Friedhof herum und suchen den Grabstein von Herrn Riddel. Wir werden schlussendlich fündig, und keine zwei Minuten später kommt eine Horde Touristen mit ihrem Stadtführer zur berühmten Grabstätte und erzählt genau diese Harry Potter-Geschichte. Zum Glück haben wir unsere Bilder schon davor geschossen, denn ab jetzt wird der Grabstein von einer Horde belagert.
Das National Museum of Scotland liegt ganz in der Nähe des spukenden Friedhofs, und da hier der Eintritt frei ist, schauen wir auch dort einen Sprung rein. Leider ist der Tag schon einigermassen fortgeschritten, denn das Museum hat echt sehr viel zu bieten. Wir wollten eigentlich nur mal kurz durchschlendern, da wir uns nicht allzu viel erwartet hatten. Doch da haben wir uns getäuscht. Die Ausstellungen sind allesamt sehr interessant und laden Jung und Alt zum Verweilen ein. Hätten wir mehr Zeit gehabt, wären wir gerne länger in dem spannenden Gebäude geblieben.
Schlussendlich kommen wir wieder in der Princes Street an, dort besichtigen wir die nostalgische Bahnstation Waverley und bestaunen das Scott Monument. Von hier aus hat man nochmals einen phantastischen Ausblick auf das Edinburgh Castle, das für uns von aussen schöner aussieht als von innen. Der Tag in Edinburgh ist wirklich gelungen, und zum Abschluss entscheiden wir uns, in ein Fast-Food-Restaurant mit dem schottischsten Namen überhaupt zu gehen: McDonalds! Dort gibt’s eine wärmende «hot chochlate» für uns, und anschliessend setzen wir uns wieder in die Linie 104, die uns zurück nach Wallyford bringt, wo unser Stellpatz ist.
Die Geschichte der Wikinger und generell des Mittelalters ist nicht gerade leicht zu interpretieren. Warum? Ganz einfach – es fehlt an Aufzeichnungen. In der heutigen Zeit, mit der Medienflut und digitalen Datenträgern, die alles bis ins kleinste Detail speichern können ist das nicht mehr vorstellbar. Alle Ereignisse werden millisekundengenau protokolliert, gespeichert und archiviert. Das war im Mittelalter (und in der Zeit davor) natürlich nicht so. Deswegen stützen sich die meisten historischen «Fakten» auf Funde, Schriftrollen oder Steinbilder, Sagen und Erzählungen. Wie wir alle wissen wird auch in der heutigen Zeit bei einer Erzählung sehr gerne mal etwas dazu gedichtet, was vielleicht nicht ganz der Wahrheit entspricht. Je nach Zweck der Geschichte, Stimmung und Gesinnung des Geschichtenerzählers kann diese ganz schön blumig ausfallen, was natürlich die Realität doch ziemlich stark beeinflussen kann. Wenn man sich nun vorstellt, dass die Erzählungen und Geschichten des frühen Mittelalters sehr von der Laune und vor allem auch Abstammung des Schreibers abhängen, ist es nicht ganz einfach, die echte Wahrheit herauszufinden.
Während sich die Normannen, Wikinger und Dänen in ihrer Geschichte um den Krieg um England natürlich als Helden, grosse Krieger und Herrscher mit den einzig wahren Göttern gesehen haben, sieht die Sache aus Sicht der Angelsachsen schon ganz anders aus. Hinzu kommt, dass die Angelsachsen eine relativ hohe Kultur mit vielen Gelehrten hatten, die des Schreibens mächtig waren, während die nordischen Völker ihre Geschichten eher über mündliche Erzählungen und Sagen weitertrugen, um ihre Heroen zu ehren und in Erinnerung zu behalten. Entsprechend wenig ist daher auf dieser Seite an stichhaltigen Fakten zu finden. Nun aber zurück zum Thema und Schluss mit dieser langen Einleitung: Die Serie «Vikings» erzählt die Geschichte der Nordmänner (entweder aus Dänemark oder aus Norwegen und Schweden, so eindeutig geht es nicht hervor), wie sie einst mit ihrem Anführer Ragnar Lodbrok nach Westen segelten und die britische Insel (welche dazumal noch in viele kleinere Königreiche aufgeteilt war) angriffen. Und diese lange Geschichte beginnt mit einem Überfall auf eine kleine, von Mönchen besiedelte Insel namens «Lindisfarne» in Northumbria - auch bekannt als «Heilige Insel».
Nun, historisch belegt ist zumindest der Überfall der Nordmänner im Jahre 793 nach Christus auf Lindisfarne. Wahrheit oder Fiktion dahingestellt: rein schon aus geschichtlichem Interesse steht daher Lindisfarne bei uns auf der Liste der Dinge, die wir besuchen müssen.
Dunstanburgh Castle
Zuvor möchten wir allerdings noch eine Festung besuchen, die uns eine der so vielen netten Menschen, die wir hier kennengelernt haben, wärmstens empfohlen hat: Dunstanburgh Castle. Vom naheliegenden Fischerdörfchen Craster geht ein wunderschöner Wanderweg zum Schloss. Es ist übrigens ein Teil des St Oswald’s Way (Northumberland Coastal Path), einem Weitwanderweg, der von Lindisfarne 156 km hauptsächlich an der Küste entlang bis zum Hadrians Wall führt. Und so treffen wir auch den ein oder anderen Wanderer, der vermutlich einige mehr Kilometer in den Beinen hat als wir, nach unserem gerade mal 4 km langen Spaziergang.Der Wind bläst uns hier an der Küste wieder einmal gehörig um die Ohren, aber trotzdem ist der Weg wunderschön. Die mit Sträuchern gesäumten Pfade werden teilweise von Schafen belagert, die uns ziemlich gelangweilt mit einem schielenden Auge beobachten, während sie weiterhin das saftig grüne Gras der Wiesen fressen. Dunstanburg Castle ist schon von Weitem sichtbar. Als wir das Schloss erreichen (Eintrittspreis 6 Pfund pro Erwachsenen – Stand 05/2022) sind wir schon recht durchgefroren, obwohl wir uns bis obenhin eingepackt haben. Ja für uns Warmduscher ist der kalte Norden einfach nichts. Wenn’s nur nicht so wunderschön hier wäre. Das Tickethäuschen wird von zwei netten Leuten betrieben, mit denen wir auch sofort ins Gespräch kommen. Bereitwillig erklärt er uns alles Wissenswerte über das Castle, angefangen von der Geschichte der Erbauung bis zur letzten aktiven Nutzung im zweiten Weltkrieg. Nebenbei erzählt er uns noch, dass er nun 36 Jahre verheiratet ist und seine Hochzeitsreise damals in die Schweiz ging. Es ist einfach schön, wie familiär hier alles abläuft. Vom Dunstanburg Castle – welches übrigens auch im Programm von English Heritage enthalten ist – ist nicht mehr besonders viel übrig. Lediglich der Hauptturm und ein paar Gemäuer rund herum stehen noch. Die Kulisse hingegen ist atemberaubend – auf einem Felsen an der Küste, auf einer leichten Anhöhe. Hier hätte ich auch ein Schloss gebaut. Kurz vor 5 Uhr verlassen wir das Anwesen, es ist sowieso Feierabend und der freundliche Mann vom Ticketschalter begleitet uns noch bis zum Ausgangstor mit. Vor uns liegen noch die 4 km Rückweg, aber es funktioniert alles perfekt und an dem wunderbaren Platz direkt an der Küste, an dem unsere Frida parkt, werden wir eine herrlich ruhige Nacht verbringen. Am nächsten Morgen geht’s nach Lindisfarne!
Lindisfarne
Google Maps zeigt Holy Island als das, was sie eigentlich ist: eine Insel. Aber trotzdem kann die Insel mit jedem Fahrzeug - und zwar ohne Fähre - erreicht werden. Das ist abhängig von den Gezeiten: bei Flut ist der Weg dorthin überspült und nicht passierbar. Bei Ebbe hingegen kann man trockenen Reifens dorthin gelangen. Wir haben Glück, denn bei uns ist die beste Zeit für eine Überquerung zwischen 08:40 Uhr morgens und 16:30 Uhr nachmittags. Wann die beste Zeit für eine Überquerung nach Lindisfarne ist, zeigt die Webseite des Northumberland County Council: Holy Island Linidisfarne Crossing Times. Das passt einwandfrei in unsere Pläne, und so machen wir uns morgens von Craster aus auf den Weg. Die Wetteraussichten sind typisch englisch: Wind, Regen, Sonne, alles gleichzeitig.Wir versuchen immer zu sparen, wo es möglich ist. Und so finden wir auch einen kleinen Parkplatz am äusseren Rand der Insel, der nur über eine ziemlich holprige Strasse erreichbar ist. Aber immerhin ist er kostenlos, während die Parkplätze im Zentrum der Insel gleich mal 6 – 8 Pfund kosten. Dafür müssen wir halt ein paar Kilometer laufen. Tja, ist nicht immer ganz einfach, aber die Aussicht auf das Kommende motiviert uns. Das Lindisfarne Kloster – bzw. dessen Überreste – stehen auf dem Programm. Und das könnte kaum spannender sein – denn, siehe Geschichtslehrstunde weiter oben – sollen ja hier die Mönche von den ersten Wikingern, die in England gelandet sind – überfallen und, wenn man der Geschichte glauben darf, auch ziemlich brutal dahingeschlachtet worden sein. Ein sehr denkwürdiger Ort also, der massgeblich die Geschichte und definitiv den weiteren Verlauf der Entwicklung Englands beeinflusst hat. Denn die Wikinger sind gekommen um zu bleiben.
Obwohl der Wetterbericht bereits für den Vormittag schon ziemlich bescheidene Aussichten gestellt hat, haben wir trotzdem relativ schönes Wetter. Der Himmel ist zwar mit dicken Wolken durchzogen, aber Regen scheint keiner in Sicht. Als wir das Zentrum erreichen, tummeln sich hier ungewöhnlich viele Tagestouristen. Ja, die Insel ist tatsächlich ein Besuchermagnet, eben wegen genau dieser Geschichte. Doch es lässt sich gut verkraften, denn die Menschenmenge verteilt sich ja doch recht gleichmässig über das Eiland. Am Ticketschalter dürfen wir uns wieder freuen, denn die 10 Pfund pro Person Eintritt für das Kloster Lindisfarne können wir uns dank des English Heritage-Pass wieder sparen. Diese Investition in den Pass hat sich schon mehr als gelohnt. Vom Lindisfarne Prior selbst ist nicht mehr besonders viel vorhanden. Die Aussenmauern sind noch einigermassen intakt, im inneren Teil der Anlage sind jedoch fast nur die Grundmauern erhalten geblieben. Zudem ist man sich sicher, dass diese Klosteranlage zur Zeit des Einfalls der Nordmänner garantiert nicht so ausgesehen hat, ja sogar nicht mal dort gestanden hat. Denn die grosszügige Erweiterung der Anlage, auf deren Grundmauern wir nun blicken, wurde erst im 12. Jahrhundert vollzogen – der Überfall der Wikinger hingegen war bereits im Jahre 793, also mindestens 300 Jahre davor. Man geht davon aus, dass das ursprüngliche Kloster dort stand, wo heute die St. Marys Church steht. Die befindet sich jedoch direkt vor dem Eingang zum «neuen» Kloster, keine 50 Meter entfernt. Zusammenfassend wird sich daher alles mehr oder weniger in diesem Bereich zugetragen haben, wenngleich auch die Ruine nicht der Ort des Geschehens war, da es so in dieser Form noch nicht bestand.
Gegründet wurde das Kloster von schottischen Mönchen bereits im Jahre 635. Fortgeführt wurde es von Cuthbert, der auch der erste Bischof von Lindisfarne wurde. Nach dessen Tod wurden die Lindisfarne Gospels, ein Evangelienbuch, angefertigt, was Lindisfarne bereits zu dieser Zeit zu einem überaus beliebten Wallfahrtsort machte. Schnell wurde es zu einem Zentrum der keltischen Klosterkultur und berühmt durch seine Schreibschule. Von hier trieben die Mönche die Christianisierung Englands voran.
Der Überfall der Wikinger war übrigens durchaus nicht das Ende des Klosters, und es wurden auch nicht alle Mönche ausgelöscht, wie es in der Serie «Vikings» suggeriert wird. Dennoch - im Jahr 875, also erst 100 Jahre später, verliess Bischof Eardulf mit den Mönchen aus Furcht vor weiteren Wikingerüberfällen das Kloster auf Lindisfarne. Ab diesem Zeitpunkt war es vorübergehend vermutlich verlassen. Detail am Rande: Der Abt aus der betreffenden Vikings-Folge wurde «Cuthbert» genannt, der aber bereits im Jahre 687 – also über 100 Jahre davor – gestorben war. Der Mönch Athelstan, der zunächst in Gefangenschaft genommen und verschleppt wurde, ist vollkommen frei erfunden, und auch Ragnar Lodbrok wird eigentlich nicht mit der Invasion von Lindisfarne in Verbindung gebracht.
Wahrheit oder Fiktion – mich hat es jedenfalls dazu gebracht, mehr über die Geschichte von Lindisfarne – der heiligen Insel – herausfinden zu wollen. Somit kann man mit gutem Gewissen behaupten, das Fernsehen bildet - auch wenn man am besten selbst etwas nachhilft und recherchiert.
Wie ging es mit dem Kloster in Lindisfarne weiter? Nach dem Exodus im Jahr 875 kehrten erst um 1090 Benediktinermönche zurück, und im 12. Jahrhundert wurde auf der Insel neben den Resten des alten ein neues Kloster gegründet. Auf den Mauern des ursprünglichen Klosters wurde folglich die Pfarrkirche St. Mary errichtet. 1296 wurde Lindisfarne dann von Eduard I., auch bekannt als Edward Longshanks, aus der schottischen Herrschaft erobert und als englische Grenzfestung erweitert. Falls bei diesem Namen etwas klingelt: Ja, genau DER Edward, der William Wallace verfolgen und hinrichten hat lassen. Das Kloster genoss unter englischer Herrschaft trotz der Grenzlage einigen Wohlstand und wurde weiter ausgebaut. Im Jahr 1536 wurde das Kloster von einem alten Bekannten aufgelöst: Heinrich VIII. Tudor, der in den Jahren 1536 bis 1541 sämtliche Besitztümer klösterlicher Einrichtungen in England, Wales und Irland konfiszierte und verschacherte – wie auch die Fountains Abbey und die Rievaulx Abbey, die wir einige Tage davor besucht haben. Das Kloster Lindisfarne wurde aber nicht abgerissen. Im 18. Jahrhundert entstand wohl touristisches Interesse und die Gebäude waren bis 1820 noch gut erhalten. Doch trotz aller Anstrengungen des privaten Besitzers, das Gebäude zu erhalten, stürzte in den 1850er Jahren ein Grossteil der Anlage ein. Erst im 20. Jahrhundert wurden Ausgrabungen und fachgerechte Erhaltungsarbeiten vorgenommen.
Ein wirklich geschichtsträchtiger Ort, um den sich viele Sagen und Mythen drehen. Ehrfürchtig erkunden wir das alte Kloster und die gegenüberliegende Church Mary mit den alten, wuchtigen Grabsteinen aus den vergangenen Jahrhunderten. Vielleicht ist es reine Einbildung, aber es wirkt alles sehr mystisch und geheimnisvoll. Wir spazieren weiter auf eine Anhöhe, von der aus wir fast die ganze Insel überblicken können. Nicht nur die Mönche und Wikinger haben sich hier aufgehalten, auch für Vögel und die Pflanzenwelt ist dieses Fleckchen Erde etwas ganz Besonderes. Am Horizont werden die Wolken immer dunkler und wir entschliessen uns, langsam aber sicher unseren Heimweg zum Parkplatz anzutreten. Davor machen wir einen kurzen Abstecher in das Museum, bei dem die Geschichte über das Kloster interessant aufgearbeitet ist – von der Gründung bis zur Auflösung.
Auf unserem Rückweg rücken die Wolken immer näher, und nahezu punktgenau treffen wir am Wohnmobil ein – denn keine 10 Sekunden später fängt es an zu tröpfeln, um kurz darauf in einen wahren Platzregen überzugehen. Keine Seltenheit hier in diesen Breitengraden. Wir sehen, wie das Wasser wie an einem Wasserfall unsere Windschutzschreibe herunter rinnt und sind froh, dass wir es gerade noch trocken geschafft haben – wir wären nass bis auf die Unterhosen gewesen, wenn uns das erwischt hätte. 20 Minuten später ist der Zauber vorbei, und die Sonne strahlt vom Himmel als ob es noch nie anders gewesen wäre. Das bewegt uns dazu, noch einen kurzen Spaziergang über die Dünen hinter uns zu machen, bevor wir uns dann Abfahrbereit machen. Unser nächstes Ziel ist nicht mehr in England.
Edinburgh
Die Fahrt zur schottischen Grenze ist von Lindisfarne nicht besonders lang. Unser Ziel ist die Hauptstadt Schottlands: Edinburgh. Als Teenager war ich mit zwei Freunden auf einer Rucksacktour schon mal hier. Doch an viel kann ich mich nicht mehr erinnern. Genaugenommen an fast gar nichts mehr. Wir finden einen netten kleinen privaten Stellplatz etwa 20 Minuten ausserhalb der Stadt und fahren mit der Linie 104 direkt ins Zentrum. Da kommt es uns nicht ungelegen, dass die Fahrt mit allen Zwischenstopps fast 45 Minuten dauert, denn der Bus ist auf ungefähr 25 Grad temperiert. Ach, was sind wir doch für Weicheier. Während im Bus die Jungs mit T-Shirt und Shorts und die Mädels mit Minirock oder Kleidchen herumsitzen, sind wir dick in unsere Jacken eingepackt und freuen uns über das bisschen Wärme, dass die Heizung abgibt. Aber gut, man muss den Tatsachen ins Auge sehen: wir sind eben Südlandkinder – zumindest was das Kälteempfinden angeht.Wir steigen in der Princes Street aus und erkunden die Umgebung. Natürlich konzentrieren wir uns auf den Altstadtkern, der zu Fuss hervorragend erforscht werden kann. Mein Herz geht auf, als ich die vielen Whisky-Shops und Schottland-Krims-Krams-Läden sehe. Irgendwann in meinem Leben – vielleicht war es der Trip, den wir als Teenager gemacht haben – wurde ich zum Schottland-Fan. Es hat mich dazu gebracht, den Dudelsack spielen zu lernen und mich ein bisschen in die Welt der schottischen Single Malts einzuleben. Doch Schottland selbst habe ich seither nie mehr besucht. Umso mehr freut es mich nun, hier zu sein. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Im Herzen zumindest. Der erste Dudelsackspieler lässt auch nicht lange auf sich warten. Er steht touristisch perfekt platziert direkt am Aufgang zum Edinburgh Castle. Eine Menschentraube hat sich bereits um den Piper versammelt, die alle gerne ein Foto machen möchten. Für 1 Pfund darf man das auch. Das ist sicherlich ein gutes Geschäft und meine Frau schlägt mir ziemlich schnell mal vor, dass das eine hervorragende Einkunftsquelle wäre. Aber daraus wird nix.
Wir machen das, was alle Touristen in Edinburgh machen: wir besuchen das Castle. Der Eintritt beträgt läppische 17 Pfund pro Person (und für uns - dank English Heritage Mitgliedschaft - nur die Hälfte). Wenn man einen Audio-Guide dazuhaben möchte, löhnt man nochmals 4,50 Pfund. Das wäre sicher spannend gewesen, aber wir versuchen uns, ohne Guide durchzuschlagen. Immerhin kann man sich online eine Karte des Castles auf das Handy herunterladen, damit wir nicht ganz planlos herumirren.
Edinburgh Castle
Man muss nicht alles schönreden. Und da wir auch kein Reiseführer sind, sondern über unsere Erlebnisse schreiben, bin ich auch hier ehrlich: ganz überzeugt hat uns die Sache hier nicht. Das Schloss selbst ist noch sehr gut intakt, zudem wird ein Teil davon von einer militärischen Einheit bewohnt. Natürlich dürfen auch die Souvenirshops nicht fehlen, die recht zentral platziert sind. Darüber hinaus sind einige Räume begehbar, unter anderen der Raum, an dem die Kronjuwelen ausgestellt sind. Das ist zwar schön, aber für mich ist dieser Glitzer-Krims-Krams nichts. In einigen weiteren Räumen ist entweder die Geschichte um den zweiten Weltkrieg aufgearbeitet, oder es handelt sich um Ausstellungen mit museumsähnlichem Charakter. Von der Geschichte des Schlosses selbst erfährt man relativ wenig – das wäre dann vermutlich im Audio-Guide dabei gewesen. Um 1 Uhr mittags wird die Kanone gezündet – die «One o’clock Gun». Das ist natürlich ein Touristenspektakel, und man bekommt so gut wie keinen Platz, wenn man sich nicht früh genug irgendwo mit freier Sicht auf die Kanone platziert. Kurzum: wir verbringen zwar fast 3 Stunden im Castle, aber schlussendlich waren wir eher enttäuscht. Nicht, weil es nicht schön ist, sondern weil es eher einem Vergnügungspark als einem Schloss ähnelt. Aber gut, ob es gefällt oder nicht muss jeder für sich entscheiden, Geschmäcker sind verschieden.Nach dem Schlossbesuch durchstöbern wir den Rest der wirklich schönen Altstadt. Verlaufen kann man sich hier nicht, es ist nicht so riesig, und man merkt es sofort, wenn man den Kern der Altstadt verlässt. Es gibt zahlreiche kleine, enge Gassen, Souvenirläden ohne Ende und natürlich gefühlt an jeder Ecke einen Whisky-Laden. Doch wer meint, dass er in Schottland günstiger an seinen Single Malt kommt, wird schnell eines Besseren belehrt. Sie sind schön anzuschauen und phantastisch dekoriert, aber billiger ist hier gar nichts – eher das Gegenteil.
Wir kommen am Greyfriars Kirkyard vorbei. Dem Friedhof, auf dem es angeblich am meisten spuken soll. Er hat wirklich eine sehr mystische Ausstrahlung, und die mit vielen Skulpturen verzierten Gräber und Gruften wirken wie aus einem Gruselroman. Man kann sogar abendliche Führungen buchen und sich selbst davon überzeugen, ob es hier spukt oder nicht. Etwas unfreiwillige Berühmtheit erlangte die Grabstätte eines gewissen Herrn Thomas Riddel. Wir wussten es zwar nicht, aber echte Harry Potter-Fans werden jetzt hellhörig: denn Tom Riddle war der Name des jungen Mannes, der später zum gefürchteten Lord Voldemort wurde. Harry Potter-Erfinderin J.K. Rowling hat einmal gemeint, dass sie früher häufig auf diesem Friedhof spazieren war und den Namen eventuell dort unbewusst aufgeschnappt hat. Der arme Herr Riddel wurde immerhin 72 Jahre alt und hat mit dem gefürchteten Lord in Wahrheit natürlich nichts zu tun. Selbstverständlich irren auch wir wie die Blöden auf dem Friedhof herum und suchen den Grabstein von Herrn Riddel. Wir werden schlussendlich fündig, und keine zwei Minuten später kommt eine Horde Touristen mit ihrem Stadtführer zur berühmten Grabstätte und erzählt genau diese Harry Potter-Geschichte. Zum Glück haben wir unsere Bilder schon davor geschossen, denn ab jetzt wird der Grabstein von einer Horde belagert.
Das National Museum of Scotland liegt ganz in der Nähe des spukenden Friedhofs, und da hier der Eintritt frei ist, schauen wir auch dort einen Sprung rein. Leider ist der Tag schon einigermassen fortgeschritten, denn das Museum hat echt sehr viel zu bieten. Wir wollten eigentlich nur mal kurz durchschlendern, da wir uns nicht allzu viel erwartet hatten. Doch da haben wir uns getäuscht. Die Ausstellungen sind allesamt sehr interessant und laden Jung und Alt zum Verweilen ein. Hätten wir mehr Zeit gehabt, wären wir gerne länger in dem spannenden Gebäude geblieben.
Schlussendlich kommen wir wieder in der Princes Street an, dort besichtigen wir die nostalgische Bahnstation Waverley und bestaunen das Scott Monument. Von hier aus hat man nochmals einen phantastischen Ausblick auf das Edinburgh Castle, das für uns von aussen schöner aussieht als von innen. Der Tag in Edinburgh ist wirklich gelungen, und zum Abschluss entscheiden wir uns, in ein Fast-Food-Restaurant mit dem schottischsten Namen überhaupt zu gehen: McDonalds! Dort gibt’s eine wärmende «hot chochlate» für uns, und anschliessend setzen wir uns wieder in die Linie 104, die uns zurück nach Wallyford bringt, wo unser Stellpatz ist.
Lunan Bay, SCO, im Mai 2022
Liebe Grüsse
Liebe Grüsse
Rene
Reiseroute
03. Mai 2022Craster
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UK05. - 06. Mai 2022Edinburgh
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