Touchdown im Niemandsland – Wa shilwa, Namibia!
12. März 2023Sehnsuchtsstrassen – Namibias Süden
19. März 2023Verloren im Irrgarten
Das Blöde an einem Labyrinth ist, dass man erst am Ende weiss ob der Weg, für den man sich entschieden hat, richtig oder falsch war. Und wenn man am Ende merkt, dass man sich geirrt hat, ist es meistens zu spät. Das ist das Problem bei Labyrinthen.
15. März 2023 - Reisetagebuch Eintrag #119
- VERLOREN IM IRRGARTEN | geschrieben von Rene
Wir übernehmen unser 4x4-Fahrzeug von Kalahari Car Hire. Nach den ersten Einkäufen geht es ab auf die Schotterpiste. Unsere erste Campsite erinnert uns an eine Autobahnraststätte. Wir kämpfen gegen Insekten und verteidigen unser Abendessen. Im Quiver Tree Forest suchen wir vergeblich Schatten und am "Giants Playground" irren wir in der gnadenlosen Mittagshitze durch das Steinlabyrinth.
Windhoek
Wenn wir draussen vor unserem Windhoeker Apartment sitzen, werden wir meistens von der süssen Hündin Molly beobachtet. Die Kleine tut uns wirklich sehr leid – ihre Besitzer stellen ihr eine Lauffläche von gerade mal 5 m² zur Verfügung, wo sie auf und ablaufen kann. Sie wird nie beachtet, nie gestreichelt, geschweige denn mit ihr Gassi gegangen. Wir geben unser Bestes und lassen ihr während unseres Aufenthalts so viel Streicheleinheiten wie möglich zukommen. Unsere Gastgeberin selbst ist wirklich sehr nett und zuvorkommend – sie fährt mit uns am ersten Tag sogar zu einer Shopping Mall und bringt uns mit den ganzen Einkäufen wieder nach Hause. Was für ein Service! Aber die mehrfachen Anspielungen auf ihre Hündin Molly, und das Angebot, dass wir mit ihr gerne mal Gassi gehen, fruchten nicht so ganz. Dafür hat sie kein Ohr. Der Hund ist hier wohl einfach nur ein – ja was denn? Dekorationsgegenstand? Keine Ahnung, was ein Hund für einen Sinn macht, den ich den ganzen Tag keines Blickes würdige. Am liebsten würden wir sie mitnehmen auf unsere Tour…
Am 26. Januar ist es dann endlich so weit. Wir können es fast nicht mehr erwarten! Wir dürfen heute unseren Toyota Hilux 4x4 von Kalahari Car Hire übernehmen. Jetzt bekommen die in unseren Telefonen gespeicherten Nummern und Namen also endlich auch ein Gesicht. Ann-Kathrin von Kalahari Car Hire empfängt uns. Sie und ihr Kollege Marc erklären uns alles, was wir für das Wüstenabenteuer benötigen, und wir machen uns abfahrbereit. Los geht’s!
Einkaufstour
Die erste Tour führt uns zu unserem Lieblingsladen, den wir schon so oft auch in Südafrika besucht haben: Pick n Pay. Sowieso wirkt Namibia vielerorts wie eine dünn besiedelte Kopie von Südafrika. Fast alles, was es in Südafrika gibt, findet man auch hier. Sogar das Sortiment ist fast 1:1 dasselbe. Kein Wunder, denn Namibia hiess in den Jahren 1915 bis 1990 «Südwestafrika», ging aus der deutschen Kolonie «Deutsch-Südwestafrika» hervor und war während dieser 75 Jahre von Südafrika verwaltet. Der Name «Namibia» wurde von den Vereinten Nationen bereits am 12. Juni 1968 anerkannt. Dank internationalem Druck führte es 1990 endgültig zur Unabhängigkeit der Republik Namibia.
Nachdem wir uns im Pick n Pay mit den notwendigen Vorräten für die nächsten Tage eingedeckt haben, kann die Tour also los gehen. Wasser ist aufgefüllt, Braai (=BBQ) Holz gelagert, das Grillfleisch ist im Kühlschrank und die Getränke ordnungsgemäss verstaut. Die ersten paar Kilometer durch die Stadt von Windhoek sind noch wenig beeindruckend. Doch wenige Minuten später haben wir das Stadtgebiet verlassen. Der Wagen fährt sich einwandfrei und angenehm. Für uns geht es zunächst Richtung Süden. Das erste grosse Etappenziel lautet «Fish River Canyon». Doch dafür brauchen wir gut zwei Tage, da es einige hundert Kilometer sind.
Schotterpisten
Etwa 20 km nach der Stadtgrenze fängt die erste (von vielen) Schotterstrassen an. Das ist hier nichts Ungewöhnliches. Geschätzt sind etwa 80 – 90 % aller Strassen in Namibia Schotter- oder Sandstrassen. Aber es macht auch Spass, und unser Toyota Hilux, den wir gleich mal «Max» taufen, macht seine Sache einwandfrei. Die Federung ist hervorragend und man kann gut und gerne mit 80 km/h durch die Prärie rauschen. Unser Etappenziel, der Fish River Canyon, ist gut 650 km entfernt. Theoretisch kann man das an einem Tag machen, aber wir sind ja nicht auf der Flucht. Auf ungefähr der Hälfte der Strecke bleiben wir an unserer ersten Campsite stehen: die Anib Lodge in der Kalahari-Wüste. Die Campsites sind hier meistens an eine Lodge angeschlossen. Also kleine Hotels/Bungalows, wo meistens auch eine Area für Campingfahrzeuge dabei ist.
Schnell stellt sich heraus, dass es bei einer Rundreise durch Namibia durchaus empfehlenswert ist, ein geländegängiges Fahrzeug zu haben. Ob man den 4x4-Allradantrieb braucht, erfahrt ihr in unseren nächsten Berichten – aber bereits hier, bei der ersten Lodge wird klar: die Pisten in Namibia sind definitiv NICHTS für Standard-Fahrzeuge! Auch bei der Zufahrt zur Anib Lodge hätte ein normaler PKW sicherlich die ersten Probleme bekommen. Mich hingegen freut es, denn so kann unser «Max» seine Stärken natürlich gleich ausspielen.
Wir werden herzlich von der Dame an der Rezeption empfangen. Sie erklärt uns erstmal alles ganz grob. Wir dürfen Pool und die Annehmlichkeiten der Lodge nutzen, Bar und Restaurant stehen uns natürlich auch offen. Die Campsite selbst ist etwas abseits. Dort fahren wir anschliessend hin und schauen uns an, wie das hier so läuft.
Autobahnraststätte
Im ersten Moment sind wir etwas überrascht, überfordert oder ratlos – wie auch immer man es nennen möchte. Aber gut – andere Länder, andere Campingplätze. Hier in Namibia läuft das alles ein wenig anders ab. Zunächst einmal das Positive: unsere direkten Camp-Nachbarn sich sicher 100 – 200 m weit weg. Wir sehen nicht mal, ob dort jemand steht. Auf unserem Platz steht ein Backsteinhaus mit zwei Eingängen: 1) Toilette und 2) Dusche. Ähhm ja, klingt soweit ganz in Ordnung, aber es erinnert alles ein wenig an eine Raststättentoilette auf der Autobahn. Der nackte Betonboden und die vielen Insektenleichen befeuern unsere Euphorie nicht unbedingt. Ganz zu schweigen von den lebenden Insekten und Krabbeltieren, die dort kreuchen und fleuchen. Aber gut – uns wird bewusst, dass wir hier wirklich in der Wüste sind – in der Kalahari, um genau zu sein. Komfort und Sterilität sucht man daher vergeblich. Immerhin haben wir einen kleinen Tisch, wo wir uns erstmal sortieren können. Nach einer kurzen Beratung beschliessen wir, zurück zum Gelände der Lodge zu fahren und springen dort in den Pool. Eine sehr willkommene Erfrischung, und während wir zufrieden im kühlen Nass den ersten echten Sonnenuntergang beobachten und fasziniert davon sind, wie farbenfroh das aussieht, freuen wir uns schon sehr auf die kommenden Tage in Namibia.
Das erste Abendessen wird eine kleine Herausforderung und wir lernen sogleich etwas für das Leben im Dachzelt und das Kochen im Freien.
Erstens: der Wind ist nicht dein Freund, wenn du mit einer Gasflasche kochst. Es gibt genau zwei Zustände: ENTWEDER wird die Flamme vom Wind ausgeblasen ODER so weggeblasen, dass der Topf nicht wärmer als 25 Grad wird (was der Aussentemperatur am Abend entspricht). Wir müssen also einen windgeschützten Ort finden, um unsere Mahlzeit zuzubereiten. Und das ist nicht gerade einfach.
Zweitens: Insekten sind deine Freunde, wenn du das Licht anmachst. Was im Gegenzug aber nicht bedeutet, dass du unbedingt der Freund von Insekten sein möchtest. Wenn man abends also das Licht einschaltet, kommen Millionen von Insekten, Flatterviecher, Motten und Mücken angerauscht und fliegen wie belämmert gegen die Lampe, in dein Essen und in deine Getränke, sodass gleich mal die Hälfte davon unbrauchbar wird. Und natürlich wollen einige davon auch dein Blut.
Wir schaffen es aber trotzdem, unsere erste leckere Mahlzeit unter freiem Himmel zuzubereiten, werden satt, und der erste spannende Tag geht zu Ende. Gegen Ende des Abends gesellt sich noch eine Fledermaus an die Lampe über unserem Tisch und beobachtet uns. Die erste Nacht im Dachzelt ist angenehmer als wir uns erwartet hatten. Der Aufbau des Zelts funktioniert relativ reibungslos - in Anbetracht dessen, dass wir es noch nie gemacht haben. Und es ist schlussendlich doch sehr bequem und wir schlafen ausgezeichnet. Bis um etwa 6 Uhr früh, als eine Oryx-Antilope neben unserem Auto anfängt zu grasen und uns aus unserem Schlaf holt. Aber so wird man gerne geweckt.
In der heutigen Tagestour wollen wir den Fish River Canyon erreichen, aber das ist noch ein ordentliches Stück. Gute 350 km stehen an – und wer kanns erraten? Ja genau – Autobahnen gibt es hier keine. Nur Schotterpisten bei maximal 60 – 80 km/h. Daher müssen wir ziemlich früh los, und wir haben zudem noch zwei Punkte auf der Tour, an denen wir Halt machen wollen.
Köcherbäumewälder
Haltepunkt Nummer 1 ist der Quiver Tree Forest – oder auch Köcherbaumwald genannt. Der liegt in der Nähe von Keetmanshoop auf einer abgelegenen Farm. Wobei «abgelegen» nicht das richtige Wort ist, denn in Namibia ist so ziemlich alles «abgelegen». Hier sind die Strassen staubig, und es kann gut sein, dass man vierzig, fünfzig Kilometer schnurgeradeaus fährt. Wirklich schnurgerade, wie mit einem Lineal gezogen. Da kommt dann einfach nichts – kein Haus, kein Baum, kein Strauch. Aber das ist es auch, was wirklich faszinierend ist. Alles hat irgendwie den Charakter eines alten Westernfilms – mit dem Unterschied, dass wir mit dem Auto durch die Prärie reiten, nicht mit Pferden. So etwas haben wir beide noch nie gesehen, geschweige denn er»fahren».
Wir erreichen den Quiver Tree Forest und dürfen nun erstmal Eintritt bezahlen. Da kommt man in Namibia leider nicht ungeschoren davon. Denn gleich vorweg: ALLES kostet hier Eintritt. Na ja, jeder will hier irgendwie Geld verdienen, das ist klar. Es gibt nicht viele andere Möglichkeiten, eine konstante Beschäftigung und Einnahmequelle zu finden. Darauf muss man sich also als Namibia-Besucher einstellen. Aber gut – es ist nun mal so, und wir bezahlen die 220 N$ (umgerechnet ca. 11,75 EUR, Stand 01/2023) für uns beide. Dafür dürfen wir die erstaunliche Baumkolonie der Köcherbäume bewundern. Die Quiver Trees oder auf Afrikaans «Kokerboom» gehören zur Gattung der Aloen und kommen nur im südlichen Namibia und im nördlichen Südafrika vor. Die grösste Anzahl befindet sich hier im Quiver Tree Forest. Die Sonne knallt unbarmherzig vom Himmel, es ist gerade Mittag und unser Thermometer zeigt stolze 39 Grad an. Wir suchen uns einen Parkplatz, was nicht besonders schwer ist, denn wir sind die einzigen Besucher. Natürlich ist nichts beschildert und wir wissen nicht, wo der Eingang ist. Nach dreimaligem Umparken haben wir das Gefühl, hier müsste es passen. Und tatsächlich, der unscheinbare Eingang ist direkt vor unserer Nase.
Das Gelände wirkt wie ein fremder Planet. Die Köcherbäume sehen irgendwie aus wie umgedrehte Besen, nur dass der Stamm ziemlich dick ist. Können tut er gar nichts, der Köcherbaum. Er ist einfach nur selten. Aber die Szene ist irgendwie sehr speziell. Wir spazieren durch das Gelände, wo es so gut wie keinen Schatten gibt. Aufgrund der enormen Hitze entscheiden wir uns dann relativ bald, den «Wald» auch wieder zu verlassen.
Spielplatz der Riesen
In unserem Ticketpreis ist noch ein weiteres Naturphänomen enthalten – der «Giants Playground». Das ist nur wenige Kilometer vom Köcherbaumwald entfernt, und da dürfen wir mit unserem Ticket ebenfalls hin. Der «Spielplatz der Riesen» ist eine wirklich bizarre Felslandschaft, und wenn man im Köcherbaumwald schon das Gefühl hatte, in einer fremden Welt zu sein, dann hier nochmals mehr. Die Felsen und Steine sind teilweise meterhoch aufgetürmt und man kann kaum glauben, dass die Natur das alles selbst so «gebaut» hat. Es ist wirklich faszinierend, obwohl es einfach nur Steine sind. Wir entscheiden uns für einen kurze Spaziergang – ein angeblich zwanzigminütiger Rundweg führt durch die Steinwelt. Man muss nur den Schildern folgen.
Wir legen ein etwas höheres Tempo vor, denn die Sonne gibt nach wie vor alles und man hat nach kurzer Zeit das Gefühl, das Gehirn rinnt aus den Nasenlöchern. Dass es in Afrika mit der Beschilderung manchmal hapert, das wissen wir längst und hätten wir uns auch denken können. Aber wir waren guter Dinge, als wir die ersten 1 ½ km hinter uns gebracht haben und die Schilder uns immer noch die Richtung anzeigen. Es kommt, wie es kommen muss: Auf einmal fehlen die Wegweiser. Doch die kommen ohnehin so unregelmässig, dass wir einfach mal instinktiv in die Richtung laufen, die uns am wahrscheinlichsten erscheint. Wir verlieren vollkommen die Orientierung und wissen nicht mehr wo Osten und Westen ist. Die Sonne steht kerzengerade über uns, und die Steine sehen plötzlich alle gleich aus.
Vielleicht habe ich in der Schule zu wenig aufgepasst, als es um die Wahrscheinlichkeitstheorie gegangen ist, oder aber der Wahrscheinlichkeitsgott meints wieder mal nicht gut mit uns. Denn natürlich stellt sich heraus, dass die von uns eingeschlagene Weg nicht der richtige ist. Zumindest kommt kein weiteres Hinweisschild mehr. Wir haben uns also total verlaufen. Mein Orientierungssinn ist eigentlich wirklich sehr gut – aber hier zwischen den Steinen fühlt es sich an wie ein Labyrinth. Ratlos stehen wir in der Sonne, trinken die letzten Reserven aus unserer Wasserflasche und legen uns eine Überlebensstrategie zurecht. In der Ferne höre ich schon die Geier krächzen und ich sehe uns beide jämmerlich verdurstet als zukünftige Skelette irgendwo in der Prärie herumhängen. Wir beschliessen, wieder umzukehren und versuchen den letzten bekannten Punkt zu finden, damit wir den «Pfad» einfach rückwärtslaufen können. Das klappt natürlich nicht, denn es sieht alles gleich aus und wir finden dieses dämliche Schild nirgends mehr. Aber wir versuchen nun einfach eine bestimmte Richtung beizubehalten. Plötzlich sehen wir auf irgendeinem Stein ein halb verrottetes, verbogenes Schild, dass den Weg weist. Na, was für ein Glück. Unser Wasservorrat ist zu Ende – jetzt darf nichts mehr passieren. Und tatsächlich, nach nochmals gut 10 Minuten erspähen wir tatsächlich den Parkplatz mit unserem Auto. Wir werden also überleben – das freut uns.
Im Auto drehen wir die Klimaanlage gleich mal auf volle Stufe auf. Ungesund hin oder her, das muss jetzt sein. Wir machen noch kurz halt beim Klohäuschen, ich rette einem Vogel das Leben und dann kann es weitergehen – denn wir haben trotz aller Strapazen immer noch eine ordentliche Strecke vor uns.
Liebe Grüsse
Reiseroute
26. - 27. Jan. 2023Windhoek
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