The Big American Dream
21. Juni 2023Im Kaufrausch durch Texas
2. Juli 2023Schockzustand: Unser Traum in Scherben?
Wenn dein Leben in Scherben vor dir liegt, setz dich hin und fang an zu puzzeln.
28. Juni 2023 - Reisetagebuch Eintrag #127
- SCHOCKZUSTAND: UNSER TRAUM IN SCHERBEN? | geschrieben von Rene
Kulturschock: Horrorfahrzeuge, Horrorpreise!
Jetzt geht es also los mit der Suche nach dem richtigen Wohnmobil. Der aufmerksame Leser wird sich vielleicht fragen, warum wir das nicht schon davor gemacht haben, als wir noch zuhause waren und Zeit gehabt hätten. Na ja, das ist relativ leicht erklärt. Das ist uns nämlich auch in den Sinn gekommen. Aber wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass die hiesigen Händler ausschliesslich RV’s (Recreational Vehicles, also «Entspannungsfahrzeuge, so werden zusammengefasst Wohnmobile, Wohnwagen, Truck Camper und alles, was darunter fällt, genannt) anbieten, die überhaupt nicht in unserer Preisklasse liegen. Mit dem Angebot, das hier vorherrscht, können wir nicht recht was anfangen. Und von einem Inserat etwas kaufen, das wir davor nicht gesehen haben, das können wir uns ohnehin beim besten Willen nicht vorstellen. Aber was ist denn das alles überhaupt? Class A, Class B, Van, Van Camper, Conversion Van, Class C, Truck Camper, 5th-Wheeler, Toy-Hauler?? Wir wollen doch einfach nur einen kleinen Camper. Na gut – aber jetzt mal langsam. Crashkurs für Anfänger: Class A ist ein Motorhome, welches unserem «Vollintegrierten» entspricht. Class B sind Vans (wie die Vans bei uns, etwa Fiat Ducato = Dodge ProMaster) – auch genannt Camper Van. Ein Conversion Van ist in der Regel ein selbst ausgebauter Van. Ein Class C Motorhome entspricht in etwa unseren Teilintegrierten. Class A und Class C gibt es in allen Varianten – also von 7 m bis 12 m Länge. Bleibt noch: Truck Camper: das ist ein Truck mit einer Aufsatzkabine/Absetzkabine hinten drauf. Und ein 5th-Wheeler bzw. Toy-Hauler ist ein Wohnanhänger, grob gesagt ein Wohnwagen – aber in weitaus grösseren und luxuriöseren Versionen – das sind eigentlich schon Wohnhäuser auf Rädern.
Camping in Amerika ist ganz etwas anderes als Camping in Europa. Das merke ich ziemlich schnell. Und was sind die grossen Unterschiede? Nun, der wohl grösste Unterschied ist zweifellos die Kultur. Wir haben schon einige Länder bereist und sind uns bewusst, dass manche Sachen komplett anders ticken als bei «uns». Das ist klar – jeder Kontinent, ja beinahe jedes Land hat seine Eigenheiten. Doch was hat die Kultur mit Campen zu tun? Eine ganze Menge. Die Menschen in den USA campen aus ganz anderen Gründen als wir Europäer. In Europa geht es darum, mit seinem Fahrzeug die Strassen, Städte und Länder zu erkunden, der Stell- oder Campingplatz dient dabei entweder als Übernachtungsplatz oder als Hotelersatz. Soweit mal ganz grob zusammengefasst. Der Amerikaner hingegen verwendet sein Fahrzeug viel mehr, um sich mit Familie und Freunden zu treffen und damit er am Abend nicht mehr heimfahren muss. ODER es dient als Ganzjahreswohnung, da die Armut hier immer mehr zunimmt und sich die meisten Menschen bei den Preisen und hohen Lebenshaltungskosten keine Wohnung oder gar ein Haus mehr leisten können. Aber zu den detaillierten Ausprägungen komme ich im Laufe der nächsten paar Berichte und Geschichten sicherlich noch.
Das nächste, dass es uns nicht leichter macht, ist die Auswahl an Campingfahrzeugen. Wir möchten uns auf etwas ganz einfaches, kleines und handliches beschränken. Nicht länger als 21-23 Fuss (ca. 7 m), wir brauchen keine Slide-Outs, der Verbrauch sollte einigermassen im Rahmen bleiben, und natürlich sollte einfach alles so funktionieren, wie man es erwartet. Wenn ein Amerikaner meine letzten 3 Sätze gelesen hat, wird er sich vermutlich vor lauter Lachen am Boden krümmen und mit rotem Gesicht und Tränen in den Augen auf mich zeigen.
Also – etwas mit kleinem Verbrauch gibt es hier schon mal gar nicht. Das ist absolut lächerlich. Etwas, das nicht mindestens 25 bis 30 Liter Sprit auf 100 km säuft, ist hier kein Auto, das ist ein Kinderspielzeug. Hier muss alles über-überdimensioniert sein. Selbst der kleinste Van hat einen V8 oder V10-Motor mit mindestens 300 PS auf den Papieren. Was von diesen PS dann tatsächlich auf der Strasse ankommt, ist eine ganz andere Geschichte. Was hier unendlich beliebt ist, sind die sogenannten 5th-Wheeler oder Toy-Hauler. Das sind überdimensionale Anhänger, die hinter einem noch überdimensionaleren Truck hergezogen werden. Ein Luxus-Wohnwangen quasi, nur mit 40 - 60 Fuss Länge – also schlappe 12 - 18 Meter. Die ganzen RV-Händler haben hier gefühlt tausende Stück von diesen Dingern herumstehen. Nein, Millionen. Wir können damit aber leider überhaupt nichts anfangen. Bei jedem Händler ist es das gleiche – schon von Weitem sehen wir die Toy-Hauler-Armada, 5th-Wheeler wohin das Auge reicht. Steht dann doch mal irgendwo ganz verloren ein Wohnmobil herum dann ist es in einer Preisklasse, wo wir Europäer uns schlapplachen. Zudem sind es zu 90 % wirklich riesige Teile – meistens so gross wie bei uns ein Reisebus. Also suchen wir einfach nach einem Van? Ha, ja denkste! Sollte mal zufällig im Facebook-Marketplace einer im Angebot sein, dann wird für eine 15 Jahre alte Mühle mit 200.000 Meilen aufm Tacho, wo ein unbefestigtes IKEA-Spülbecken, eine Luftmatratze und ein mobiles Porta-Potti-Scheisshaus drinnen steht, 180.000 US-Dollar veranschlagt. Jetzt lachen auch die Hühner mit.
Händlerfrust
Wir sind frustriert. Das haben wir uns ganz anders vorgestellt. Die Händler, die wir im Umkreis von Dallas abklappern, sind eine komplette Nullnummer. Das Einzige, was wir unabhängig des Preises überhaupt anschauen, ist ein 16 Jahre alter Roadtreck – ein Van-ähnliches Gefährt, wo zumindest auch eine Dusche und ein Kühlschrank drinnen ist. Als wir reingehen haben wir das Gefühl, wir stehen in einem Kuhstall. Ganz zu schweigen, was die Einrichtung angeht – man glaubt man schaut in einen alten, heruntergekommenen Saloon aus dem 19. Jahrhundert. Dafür würde uns der Händler glatt 50.000 US-Dollar abknüpfen. Sorry, ich kann es nicht anders sagen: die haben einen dezenten Dachschaden.
Wir lassen es mit den Händlern und beschränken uns die nächsten Tage auf Facebook Marketplace und Craigslist (eine Art Flohmarktanzeiger, die sehr populär in Amerika ist). Was da im Angebot ist, löst gelinde gesagt Augenkrebs aus. Das ist unglaublich. Selbst die neueren Modelle, die um die 2 – 3 Jahre auf dem Buckel haben, schauen von innen aus als wären sie von einem drittklassigen Antikramschhändler, der die Grundschule nicht geschafft hat, entworfen worden. Das ist wirklich schauderhaft – angefangen von den schweren, dunklen Möbeln, über altmodische Samtauskleidungen bis zum speckigen Plüschsofa. Wohin man schaut, sieht es aus, als hätte ein pensionierter Innenraumdesigner vergeblich versucht, den Wohnmobil-Retrostil der 1950er Jahre wieder aufleben zu lassen. Nur leider sind das moderne Fahrzeuge. Oh Gott, das ist grausam.
Gut, uns wird klar: das, was es in Europa gibt, werden wir hier nicht finden. Hier gibt es nichts «smartes», durchdachtes oder sparsames - ausser man gibt mehrere hunderttausend Dollar aus. Sparsam ist es dann aber trotzdem nicht. Nein, es ist alles fett, schwer, kantig, unlogisch und kompliziert. Also müssen wir uns damit abfinden und es als Teil unseres Abenteuers sehen. Aber ich kann auf jeden Fall auf (digitalem) Papier festhalten: in Sachen Camping und Wohnmobile sind uns die Amerikaner um mindestens 30 Jahre hinterher. Wenn nicht noch mehr.
Kontaktverbot
Jetzt aber endlich mal zur Sache. Wir gehen unzählige Kompromisse ein und finden dann auch das ein oder andere Fahrzeug, welches wir uns zumindest ansehen würden. Das nächste Problem: Ich kann die Leute auf Facebook nicht kontaktieren. Ohne Mist – ich schnapp über! Ich steh am Limit, ich dreh am Rad, ich könnte die Tasten aus dem Laptop herausbeissen. Da sind Wohnmobile am Markt, die wir uns zumindest ansehen würden, und dann kann ich den Verkäufer nicht kontaktieren, weil … ja weil: DANKE FACEBOOK, ihr Totalschwachmaten – da ich meinen Account natürlich vor etlichen Jahren in Europa angelegt habe, kann ich teilweise (die Logik erschliesst sich mir nicht) keine Menschen auf einem anderen Kontinent über Marketplace kontaktieren. Es geht einfach nicht. Ich kann keine Nachricht senden. «Es ist ein Fehler aufgetreten». Ja der Fehler sitzt irgendwo in der IT-Strategieabteilung von Meta. Ich könnte schreiend durch die Strassen von Dallas rennen. Egal, es lässt sich nicht ändern. Zusammengefasst: wäre etwas in der Nähe und es würde uns einigermassen passen, kann ich den oder die Verkäufer(in) nicht kontaktieren. Eine ganz grossartige Ausgangslage.
Ich gehe also auf Angriff und poste eine Anzeige in einer der vielen Wohnmobil-Gruppen, die es hier in Amerika gibt, wer ich bin, wo wir sind und was wir suchen. Vielleicht kommt ja dann das richtige Angebot zu uns und ich kann zumindest auf einen Kommentar antworten. Auf meinen Aufruf kommen zum Grossteil nur sinnbefreite Kommentare, die überhaupt nichts bringen. Wie auf Facebook eben üblich. Von einer Andrea bekomme ich eine Nachricht über den Messenger zugestellt, wo sie uns ein paar Hinweise schreibt. Sehr nett. Aber sie hat nichts im Angebot, im Gegenteil, sie sucht eigentlich selbst etwas. Als wir so hin und herschreiben stellt sich heraus, dass sie zwar in Kanada wohnt, aber ursprünglich aus Österreich ist – und, wir glauben es kaum, sogar aus Vorarlberg. Sie ist keine 20 Minuten von unserem ehemaligen Heimatort aufgewachsen. Na was für ein Zufall! Natürlich spricht sie noch perfekt Deutsch, und als ich ihr von unserem Dilemma erzähle, zögert sie keine Sekunde und fängt an, die Leute für uns zu kontaktieren. Wir sind vollkommen baff und freuen uns riesig – denn sie kann mit ihrem Account ja Personen auf dem gleichen Kontinent erreichen. Und so klappt es schlussendlich dann doch noch, zumindest den Kontakt zu einigen privaten Verkäufern herzustellen.
Anzeigenbetrug
Wir merken allerdings auch ziemlich schnell: «Fake-Anzeigen» sind hier kein Fremdwort. Die Fahrzeuge, die eigentlich recht gut klingen, sehen komisch aus. Entweder hat sich der Verkäufer erst von 2 Tagen angemeldet, oder es wird extrem günstig verkauft, oder die Anzeige ist in allen 50 Bundesstaaten der USA aktiv. Was im Umkehrschluss bedeutet: ein Betrüger. Es kommt, wie es kommen muss: Entweder ist unter der Nummer niemand erreichbar oder falls doch, wurde das Fahrzeug gerade von 2 h verkauft. Zufälle gibt es, man glaubt es kaum. Und die wirklich guten und interessanten Fahrzeuge, die in unserem Umkreis liegen und für die wir die ganzen Kompromisse eingehen würden, sind innerhalb von ein bis zwei Tagen verkauft. Da haben wir keine Chance – zumal wir als Ausländer dann immer den zweiten Platz haben, denn für die Amerikaner ist alles, was nicht amerikanisch ist, automatisch komisch.
Andrea ist uns eine sehr grosse Hilfe. Sie steht uns mit Rat und Tat zur Seite und hilft, wo sie nur kann. Sie befindet sich selbst gerade in Florida – etwa 2 Tagesfahrten von uns entfernt – und macht dort sogar eine Besichtigung für uns klar. Über Video-Telefonie machen wir einen Rundgang durch einen potenziellen Kandidaten, der in Tampa steht. Wie cool ist das denn?
Schlussendlich war es aber dann doch nicht ganz das richtige Fahrzeug für uns, weil es schon über 160.000 Meilen draufhat. Meine Angst: wir wollen das Gefährt ja nach unserem Abenteuer auch wieder verkaufen. Und ich denke mit zu vielen Meilen hat man dann keine Chance mehr, es an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Wir schaffen es schlussendlich auch, selbst 3 Wohnmobile vor Ort und Live anzuschauen. Eines davon haben wir aus Craigslist. Das wurde gerade frisch inseriert und steht ungefähr eine Autostunde von uns entfernt bei einem kleinen Händler. Die Besichtigung ist am Freitagnachmittag und man versichert uns, dass alles, was wir sehen und nicht funktioniert, selbstverständlich noch repariert oder ersetzt wird – und natürlich gibt es auch eine ordentliche Reinigung – sie hatten nur noch keine Zeit dafür.
Das ist zumindest kein totaler Reinfall. Es sieht so weit ganz in Ordnung aus, aber auch hier müssen wir wieder unzählige Abstriche machen. Es ist 13 Jahre alt (oder 15, so genau weiss man das hier nicht), es ist weder Tisch noch Sitzbank drinnen, nur eine Couch. Die vorigen Besitzer haben die Dinette rausgeworfen und sich für ein braunes 80er-Jahre Specksofa entschieden. Aus uns unerfindlichen Gründen – ich sage nur: Kulturunterschiede. Dafür hat das Class C Motorhome wenig Meilen drauf. Es ist 23 Fuss lang (eigentlich zu lang für unsere Vorstellungen), von innen auch – wie sollte es anders sein – die Western-Saloon-Einrichtung aus dem vor-vorigen Jahrhundert, ein Riesenmotor mit unglaublicher Leistung auf dem Papier und nichts davon gelangt auf der Strasse. Die Highlights sind eine Klimaanlage, eine Mikrowelle und ein Zentralstaubsauger. Wir sind komplett am Ende.
Desillusion und Resignation
Wir verlassen den Ort und fahren zum nahegelegenen McDonalds. Dort bestellen wir uns ein Eis, weil es wieder mal über 35 Grad hat. Wir sehen uns gegenseitig an, merken wie blank unsere Nerven liegen und es laufen ein paar Tränen über unsere Wangen. Wir versuchen, uns gegenseitig aufzubauen. Aber nach den ersten zwei Wochen hier in den Staaten sind wir fertig mit der Welt. Wir fragen uns, ob es die richtige Entscheidung war, hierherzukommen. Diese komische, neue, fremde, anonyme Welt, in der dir jeder ins Gesicht grinst und 3 Sekunden später nicht mal mehr weiss, ob du ein Strauch oder ein Mensch warst. Uns plagen Zweifel. Was sollen wir tun? Wie geht es weiter? Was ist das gerade, was wir empfinden? Wir haben uns so dermassen auf den amerikanischen Traum gefreut – und jetzt ist es ein Alptraum. Würde uns jemand ein Flugticket zurück in die Heimat unter die Nase halten, ich glaube wir würden es annehmen.
Aber was haben wir uns gedacht? Es wird einfach werden? Schnell mal ein Auto kaufen und ab geht die Lotte? Mit Cowboyhut rauf auf den Highway, rein in das Abenteuer, Scheibe runter, das Radio auf Anschlag und lauthals «Country Roads» mitsingen? Geknickt steigen wir in unseren Mietwagen und fahren zurück nach Dallas, in unser schmuddeliges «Studio 6» für abartige 70 Dollar die Nacht. Wir geben uns einen Ruck und reissen uns zusammen. Zumindest nehmen wir uns das für die nächsten Tage vor – denn so schnell wollen wir nicht aufgeben.
Am nächsten Tag steht eine weitere Wohnmobilbesichtigung bei Cruise America an. Die verkaufen ihre alten Wohnmobile aus der Mietflotte. Ich mach es kurz: 170.000 Meilen (zur Verdeutlichung: das sind 273.500 km! Zweihundertdreiundsiebzigtausendfünfhundert Kilometer!!!), trotz kompletten Austausch der Möbelfronten und Überarbeitung gewisser Dinge sieht der Camper aus wie durch den Fleischwolf gedreht. Als der Verkäufer das Ding startet, gehe ich vor Schreck 3 Schritte zurück auf Sicherheitsabstand, falls sich einer der Kolben löst und dann durch die Motorhaube in mein Gehirn schieben sollte. Man spürt und sieht es förmlich vor den Augen, wie die ehemaligen Mieter mit diesem Fahrzeug umgegangen sind. Das einzig attraktive ist, dass er erst 4 Jahre alt ist, aber es sieht aus wie Ötzi nach einer Sauftour. Wir sind nicht bereit, 40.000 Dollar für so ein Fahrzeug zu bezahlen. Wir verlassen das Gelände und ziehen uns in den Park in der Nähe unseres Hotels zurück, um etwas Kraft zu tanken.
Liebe Grüsse
Reiseroute
23. – 30. Mai. 2023Dallas
US