
Um Haaresbreite
4. September 2024
Trennung auf Zeit – Das Ende unseres USA-Abenteuers
15. September 2024Schiff ahoi – Flaute im Golf

Gib einem Hungernden einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Hungernden das Fischen und du ernährst ihn für sein Leben.
08. September 2024 - Reisetagebuch Eintrag #165
- SCHIFF AHOI - FLAUTE IM GOLF | geschrieben von Rene
Homer – Stadt, Strand, Fisch
Auch wenn wir nun das Enddatum unserer Nordamerikareise kennen und vor Augen haben - ein bisschen Reisegeschichte dürfen wir in Alaska noch schreiben. Es geht für uns nach zwei wunderschönen Tagen an der Küste nach Homer. Die kleine Stadt am süd-westlichen Ende der Kenai-Halbinsel ist vollends auf die Fisch-Touristen ausgelegt. Klar, was sonst. Der Sommer in Alaska ist kurz, und die Fischsaison noch kürzer. Das, was die Leute hier durch die Touristen verdienen, muss den Rest des Jahres «halten». So lassen sich auch die teilweise unfassbar kostspieligen Freizeitaktivitäten erklären – wie beispielsweise der 1.250,-(!) US-Dollar teure Tagesausflug zu den Brooks Falls im Katmai-Nationalpark. Ja natürlich, das Erlebnis muss wirklich atemberaubend sein, den Bären an diesem kleinen Wasserfall zuzusehen, wie sie die Lachse jagen. Doch für uns würde das ein riesiges Loch in die Reisekasse reissen – denn das wäre um einiges mehr als unser monatlich geplantes Reisebudget. Somit kommt das leider nicht in Frage, aber immerhin kann man den Bären auch über einen Live-Stream bei Jagen zusehen: Die Brooks Falls im Live-Stream. Das muss uns in dem Fall wohl leider genügen.
Tina und Sven verabschieden sich heute für eine individuelle Tour, während wir durch die «Homer-Keys» spazieren. Die südliche Spitze der kleinen Stadt, genannt «Spit», ist gesäumt mit Restaurants, Bars, Boutiquen, Souvenirshops und kleinen Apartment-Anlagen. Wir schlendern gemütlich am Strand entlang – und das bei Kaiserwetter. Diese Gelegenheit nutzen gleich zwei Hochzeitspaare, um ihre Zeremonie am Strand zu feiern und sich das «Ja-Wort» zu geben. Ich glaube, oft kann man hier seine Hochzeit nicht am Strand ausrichten, denn hier ist es meistens grau, bewölkt, regnerisch und stürmisch – oder es ist einfach alles zugefroren und schneebedeckt. Wir spazieren weiter und beobachten die vielen Angler, die ihr Glück versuchen und stehen schlussendlich inmitten einer Möven-Kolonie, die sich hier an riesigen Holzstegen eingenistet haben.
Ein schöner Tag geht zu Ende, doch es soll noch besser werden. Am späten Nachmittag treffen wir uns natürlich wieder mit Tina und Sven, und da Tina vor einigen Tagen Geburtstag hatte, steht noch ein gemütliches, gemeinsames Abendessen an. In Homer haben wir das passende Lokal gefunden. Wir speisen vorzüglich und geniessen gemeinsam den Abend an diesem herrlichen Tag.
Später sind wir mit Tobias, Yvonne, Andrea und Matthias verabredet. Tobias und Yvonne, die wir in Seward kennengelernt haben, sind mittlerweile auch in Homer eingetrudelt - und mit ihnen sind auch Andrea und Matthias eingetroffen - ein Reisepaar aus der Schweiz, denen wir schon vor einigen Wochen zufällig im Yukon über den Weg gelaufen sind. Das muss natürlich gefeiert werden, und so steigen wir in Homer's berühmtester Kneipe, dem "Salty Dawg Saloon" ab und stossen auf unsere Freundschaft an. Der spezielle Saloon erlangte seine Bekanntheit durch die hunderte, ja nein – TAUSENDE 1-Dollar-Noten, die an den Wänden und auf der Decke festgepinnt sind. Hier ist es Tradition, eine Dollar-Note mit seinem Namen zu beschriften und an eine freie Stelle an Wand oder Decke zu kleben. Das ist mittlerweile eine ganz schöne Herausforderung, denn es findet sich kaum mehr ein freier Platz. Da das Bier teuer genug ist, lassen wir es mit dem Bekleben der Wand und sparen unsere Dollar doch lieber auf. Mittlerweile ist es ganz schön frisch geworden, und ich bereue meine Entscheidung, nur mit einem dünnen Pullover unterwegs zu sein. Egal, eine Bar geht noch – wir können uns gerade noch in die «letzte Runde» einschleichen, bevor der Laden dicht macht. Den Rest des Abends verbringen wir dann vor Tobi’s und Yvonnes Truck bei einem gemütlichen Feuer, bevor wir uns dann auf den Heimweg zu unseren Wohnmobilen machen.
Am nächsten Tag herrscht ein bisschen Katerstimmung, was aber mehr oder weniger dem trüben, regnerischen Wetter geschuldet ist. Hier in Alaska geht es recht schnell – am Vortag noch ungetrübter, wolkenloser Himmel, angenehme Temperaturen und Kaiserwetter, und am nächsten Tag das Gegenteil. Aber kein Problem für uns, wir wissen uns schon zu beschäftigen – und so gibt’s für uns wieder mal eine Lektion beim Kartenspielen. Wir spielen Team Ollie gegen Team Blu, und wir loosen unglaublich ab. Aber egal, es soll nicht das letzte Mal gewesen sein – die Zeit für die Revanche kommt.
Lachsdefizit
Was mir ein bisschen «weh» tut ist die Tatsache, dass ich hier in Alaska noch nicht ein einziges Mal fischen war. Klar, wie auch – ich habe ja nicht mal eine Angelrute dabei. Aber irgendwie dachte ich mir, es wird sich schon mal die Gelegenheit ergeben und ich hoffte auf einen kleinen Fischerladen, der eventuell Angelkurse anbietet oder zumindest «betreutes Fischen für Vollpfeifen» auf der Angebotsliste hat. Tatsächlich gibt es das (na ja, sie nennen es zwar nicht so), doch die Touren, die angeboten werden, gehen alle raus auf das Meer und da werden dann die richtig grossen Fische rausgeholt. Das wäre zwar nicht das Problem, aber wie fast alles hier können (oder besser WOLLEN) wir uns das nicht leisten. Nun gut, zunächst würde ich ohne meine Frau so eine Tour gar nicht erst machen. Das fände ich einfach doof – auch wenn sie sofort gesagt hat, dass es ihr nichts ausmacht, bei Ollie zu bleiben. Fischen will sie nicht, und so wäre es relativ sinnlos, sich der Tour anzuschliessen. Doch auch wenn das nicht der Fall wäre, kosten die Halbtagestouren ab 250 US-Dollar aufwärts. Na ja, für dieses Geld kann ich mir reichlich Fisch aus dem Deli-Laden holen. Gut, lange Rede, kurzer Sinn: es ist mir dann doch zu teuer. ABER die Lösung ist schon parat: Tobias ist passionierter Fischer (auch wenn er sagt, dass er keine Ahnung davon hat). Und er bietet uns an, dass wir mit seinem Schlauchboot aufs Meer fahren und unser Glück versuchen. Na, das ist doch eine Ansage – und ich kann endlich «Fischen in Alaska» von meiner Bucket-List streichen.
Wir treffen uns tags darauf alle an der "Happy Valley Recreation Site". Es ist das erste Mal seit Ewigkeiten, dass wir für einen Stellplatz etwas zahlen müssen. Aber das soll uns recht sein. Das Wetter zeigt sich von seiner mittelmässigen Seite, aber wir sind ja hier nicht auf einer Sissi-Vergnügungsfahrt. Also wird das Boot aufgepumpt, Motor angeschlossen, die Angelruten vorbereitet und die Köder zurechtgelegt. Nun kann es losgehen. Der Start ist etwas holprig, da es keine Boat-Ramp gibt, die wir nutzen können. Also müssen wir das Boot ins Meer schieben, und da wir (Sven und ich) natürlich keine Gummistiefel, geschweige denn eine wasserdichte Fischerhose dabeihaben, müssen wir kreativ sein, um nicht gleich vom Start weg komplett nass zu werden. Tobias hat das alles, also ist der Plan, dass wir ein bisschen schieben, dann springen wir zwei sofort ins Boot und Tobi kommt als letzter rein, weil er der Wasserdichteste von uns dreien ist. Na gut, Plan steht – und dass das nicht gut gehen kann, stand von vornherein fest. Gerade als wir zwei in das Boot springen, kommt eine echte Mörderwelle auf uns zu, wirft uns fast um und spült uns zurück zum Strand. Das halbe Boot ist voll Wasser, und so müssen wir erstmal abbrechen.
Wir versuchen, das Wasser so gut es geht aus dem Boot zu schaufeln. Dann folgt ein neuer Versuch. Dieses Mal haben wir mehr Glück (oder besser gesagt: wir warten auf den richtigen Moment) und es gelingt uns, mit fast trockenen Füssen von der Küste wegzukommen. Nun kanns losgehen!
Wir bekommen einen sehr informativen Crash-Kurs von Tobias, der uns das ABC des Angelns näherbringt. Nach gut 15 Minuten sind wir bereit und halten die Angel das erste Mal ins Wasser. Da tut sich dann ungefähr genauso viel wie an Tschernobyls Regionalbahnhof am Montagmorgen um halb 6 – nämlich gar nix. Wir fahren von Spot zu Spot, doch wir sehen schon auf dem Sonar, dass die Wassertiefe gerade mal 18 Meter ist. Das ist viel zu wenig für Heilbutt. Alle Stellen, die für uns in der Bucht interessant wären, sind viel zu weit weg, das würden wir mit unserem Elektromotor leider nicht schaffen. Zu schaffen macht uns hingegen der Wind und die Strömung. Während wir uns vollkommen vertieft im Fischereiuniversum verlieren, treiben wir immer weiter in die Richtung ab, in die wir gar nicht wollten. Und ehe wir uns versehen, sind wir fast 4 km von unserem Landungsort entfernt. Der E-Motor zeigt gerade noch 65 % an, und wir müssen gegen Wellen und Strömung ankämpfen. Wenn wir nicht rudern wollen, muss uns die Kapazität noch reichen. Wir sehen, wie die Prozentzahl stetig abnimmt, aber das Ziel kommt nicht so richtig näher. Wir freunden uns schon mal mit dem Gedanken an, dass wir bald paddeln dürfen. Fisch haben wir natürlich auch keinen gefangen, denn hier ist absolut tote Hose.
Mit letzter Kraft
Mit den letzten 4 % erreichen wir das Ufer – das war knapp! Wir ziehen das Boot an Land und sind froh, dass wir nicht von Hand gegen die starke Strömung ankämpfen mussten. Mit leeren Händen und gesenkten Häuptern werden wir von unseren Frauen empfangen, die ein paar tröstenden Worte für uns übrighaben. Na, wenigstens habe ich es probiert – auch wenn das Projekt «Fischen in Alaska» nicht ganz so verlaufen ist, wie geplant.
Dafür verbringen wir den Rest des Tages in einer sehr gemütlichen Runde, wo sich auch noch Günter und Bettina, ein weiteres Reisepaar aus Deutschland, zu uns gesellt. Am Abend wird der grosse Grill angeworfen, und beim gemeinsamen Abendessen und der anschliessenden Runde um das Campfire mit Blick auf das Meer und die Vulkankette am Horizont lassen wir den Tag ausklingen. Mann, haben wir es doch schön, wir können es kaum glauben! Wieder einer der Augenblicke, in dem die Zeit viel zu schnell vergeht und wir wehmütig daran denken, dass wir unseren Ollie bald einem neuen Besitzer übergeben und wir uns von diesem Land verabschieden müssen.
Sven, Tina und wir verabschieden uns am nächsten Morgen vom Rest der Truppe. Für uns geht es weiter Richtung Whittier. Nach einem kurzen Abstecher bei der Kirche «Transfiguration of Our Lord» in Ninilchik, einer schönen orthodoxen Kirche, geht es über die Skilak Road zu unserem Tagesziel. Auf der Skilak Road werden wir nochmals ordentlich mit Wildlife belohnt. Nachdem wir zuerst eine Bärenmama mit ihren zwei Kleinen im Unterholz entdecken und sie beobachten, wie sie die Bäume rauf und runterklettern, sehen wir keine 5 Meilen später eine weitere Bärenmutter mit ihren drei süssen, knuddeligen Kids am Strassenrand und können sie aus nur etwa 10 Meter Entfernung beobachten. Was für ein Erlebnis! Zu unserem Glück nehmen sie es sehr gemütlich und wir können dem Treiben fast 20 Minuten lang zusehen, bevor die Truppe aus unserem Sichtfeld verschwindet. Wow, wow und nochmal wow. Das sind eine von den unzähligen Momenten, in denen wir es keine Sekunde bereuen, diese Reise gemacht zu haben.
Bei der Weiterfahrt stellen wir fest, dass unser Ladebooster nicht mehr lädt. Der sorgt dafür, dass unsere Hausbatterien während der Fahrt aufgeladen werden – und das ist enorm wichtig, da in Alaska mit Solarstrom nicht wirklich viel zu reissen ist. Wir funken an Sven durch, dass wir schnell irgendwo rechts ranfahren müssen. Beim Stopp gehen wir auf Ursachensuche, und das Problem ist schnell gefunden: das Signalkabel, dass dem Ladebooster den Befehl gibt, die Batterie zu laden, hat sich gelöst. Das können wir glücklicherweise schnell reparieren und schon kann es weitergehen.
Kurz vor Whittier heisst unser Ziel «Byron Glacier». Den kurzen Spaziergang vom Traihead zum Gletscher meistern wir erwartungsgemäss ohne Probleme. Doch vom Gletscher selbst ist leider nicht mehr allzu viel übrig. Die Zunge hat sich schon sehr zurückgezogen, und nachdem wir in den letzten Wochen sehr viele imposante Gletscherläufe bewundern durften, fällt dieser in die Kategorie «ganz ok». Aber für heute hat der Spaziergang auch gut gereicht, und nur wenige Meilen vom Gletscher entfernt finden wir wieder ein schönes, kostenloses Übernachtungsplätzchen für uns. Am Abend können wir erneut einen wunderschönen Sonnenuntergang bewundern, bevor es dann ab ins Bett geht.
Liebe Grüsse
Reiseroute
27. – 29. Juli 2024Homer
US29. – 31. Juli 2024Happy Valley
US31. Juli – 01. Aug. 2024Portage
US