Seitenwechsel
25. Mai 2022Unsterbliche Ungeheuer
5. Juni 2022Giraffengold
Man muss dem Leben immer um mindestens einen Whisky voraus sein
01. Juni 2022 - Reisetagebuch Eintrag #89
- GIRAFFENGOLD | geschrieben von Rene
Wir müssen endlich unsere Wäsche machen. Wir bekommen plötzlich keinen Diesel mehr, und unsere Toilette stinkt zum Himmel. Bei Glenmorangie finden wir heraus, was deren Whisky mit Giraffen zu tun hat. Tain beeindruckt uns nicht wirklich. Dornoch war vor einigen Jahren der Schauplatz eines wahren Staraufgebots: Madonna und Co waren zu Gast in der kleinen Stadt.
In Portsoy hätten wir tatsächlich ewig stehen bleiben können. Das kleine Fleckchen direkt am Meer lässt uns richtig zur Ruhe kommen. Klar, die Temperaturen sind nicht gerade einladend. Ohne dicke Jacke und Kappe kann man sich bei dem kalten Wind nicht besonders lange draussen aufhalten. Aber es geht trotzdem, denn manchmal kommt die Sonne für ein paar Minuten raus und wärmt ein wenig. Doch wir müssen weiter. Eine unbeliebte Pflichtaufgabe steht immer noch an: Wäsche waschen. Wer nicht ständig im Camper lebt, für den ist es das Normalste der Welt. Doch für uns bedeutet das meistens einen zeitraubenden Aufwand. Wir müssen einen Waschsalon finden, und nach der letzten Pleite hoffen wir, dass dieses Mal keine Hundepension ihre Wäsche dort macht. Bei einer Gulf-Tankstelle werden wir fündig. Es regnet sich gerade mal wieder schön ein, als wir die 18-kg-Trommel mit unserer Wäsche befüllen. Die Wartezeit verkürzen wir mit Frühstück und hängen den schönen Tagen in Portsoy nach. 45 Minuten später geht alles in den Trockner, den wir dank seiner schwachen Leistung gleich 3-mal laufen lassen müssen. Dafür spendieren wir lächerliche 9 Pfund (ca. 10,80 EUR) nur für den Trockner, nachdem uns die Waschmaschine 10 Pfund gekostet hat. Na sauber.
Egal, es ist zumindest alles halbwegs trocken und es geht weiter. Da wir immer etwas auf die Benzin – bzw. Dieselpreise achten, tanken wir meistens dort, wo es etwas günstiger ist. Das dachten wohl nicht nur wir, denn bei einer Morrison-Tanke mit wirklich guten Preisen bleiben wir stehen, bekommen aber keinen Diesel mehr. Ausverkauft. Die Situation mit Russland und Ukraine macht alles noch sinnlos komplizierter, und scheinbar gibt es nun auch Engpässe beim Treibstoff. Wir wurden schon in Canterbury, als wir in England angekommen sind, davor gewarnt, dass es vor allem im Norden mit der Versorgung knapper werden kann. Dennoch war es das erste Mal, dass wir keinen Treibstoff bekommen haben. Aber gut, unser Tank ist noch fast zur Hälfte voll und es gibt noch keinen Grund zur Sorge.
Sorgen macht uns hingegen unsere Toilette. Aber nur, weil sie langsam voll wird. Tja, das Camperdasein hat auch Nachteile. Eine frisch entleerte Board-Toilette hält für 2 Personen etwa 3 Tage, danach ist die Kacke am Dampfen. Die meisten Campingplätze bieten eine Entsorgungsstation an, doch wenn man, wie wir, häufiger in der Botanik steht, muss man sich etwas Entsprechendes suchen. Fündig werden wir in Hilton, ein kleines Dörfchen mitten in der Pampas oberhalb von Inverness. Gegen eine kleine Geldspende werden wir unsere Sch…fracht los. Und gleich noch einen Service bietet die Station an: 10 Minuten Duschen für 1 Pfund – das ist doch mal ein faires Angebot! Bei dem Preis rechnet sich das Aufheizen unseres Wassers im Wohnmobil wirklich nicht. Also – ab unter die Dusche!
Heute steht nämlich eines meiner Highlights bevor: die Besichtigung einer Whisky-Destillerie. Schottland hat weit über 100 Destillerien im ganzen Land verteilt. Als Whisky-Fan muss ich daher natürlich zwangsläufig in eine der heiligen Hallen des braunen schottischen Goldes. Doch das ist gar nicht so einfach. Ursprünglich hatten wir geplant, Talisker auf der Isle of Skye zu besuchen. Talisker ist einer der Sorten, die ich recht gerne habe. Meine «Lieblinge» kommen eher aus der kleinen Insel Islay, etwas südlich-westlich von Glasgow. Doch für die Insel bräuchten wir wieder eine Fähre, und da unsere Zeit nicht unbegrenzt ist, wäre sich das nicht ausgegangen. Also – Talisker ist in diesem Fall die Alternative. Doch seit dem ganzen COVID-Wahnsinn haben sehr viele Destillerien die Besuchertouren entweder ganz eingestellt oder auf wenige Spezialführungen eingeschränkt. Talisker bietet derzeit nur noch teure Führungen inklusive Verkostung an. Die Touren kosten dann gleich mal 60 – 150 Pfund. Dafür kann man dann einige der speziellsten Tropfen verkosten. Gut, zugegeben: reizen würde es mich natürlich schon. Aber bringen tut es nichts – denn hier in Schottland gilt – anders als in England - die 0,5-Promille-Grenze. Und wer sich bei so einer Verkostung sechs, sieben Whiskys hinter die Binde kippt, ist dann garantiert überm Limit. Lange Rede, kurzer Sinn: Talisker kann es nicht werden, auf Islay kommen wir nicht hin. Einige andere meiner Favoriten wie Aberlour oder Glenlivet in der Speyside-Region haben keine oder wieder nur teure Touren, aber bei Glenmorangie werde ich fündig. Das ist zwar ein recht blumiger, fruchtiger und milder Whisky – ganz im Gegensatz zu den Islay’s, aber von den milden Whiskys ist Glenmorangie mein Favorit. Die Tour ist eine ganz normale Besichtigung für 18 Pfund pro Person, und anschliessend darf man zwei ausgewählte Sorten verkosten. Perfekt also, deswegen führt unser Weg nach Tain, der Heimat von Glenmorangie.
Glenmorangie
Der Himmel hat wieder mal alle seine Schleusen geöffnet, und es schüttet seit den frühen Morgenstunden. Doch das spielt keine Rolle. Wir haben uns für die allerletzte Tour des Tages um 16 Uhr angemeldet. Als wir beim Besucherzentrum ankommen warten schon einige andere auf den Beginn der Tour. Die erste Enttäuschung: gleich zu Beginn wird uns mitgeteilt, dass Fotografieren und Filmen leider verboten sind. Aus «Sicherheitsgründen», denn der Blitz einer Kamera könnte so heiss werden, dass sich die Dämpfe entzünden, folglich alles explodiert, wir in den Weltraum geschleudert werden, die Erde aus ihrer Umlaufbahn gerissen und daraufhin mit ihrer Wucht nicht nur unser Sonnensystem, sondern gleich die ganze Galaxie zerstört. Und das wäre halt ungut.
Vielleicht liest man die Ironie aus meinen letzten Zeilen etwas heraus, aber okay – man hätte sich wirklich einen schlaueren Grund einfallen lassen können, um das Fotografieren zu verbieten. Vielleicht einfach aus Urheberrechtsgründen. Gut, ich muss ja wie immer nicht alles verstehen. Ich lasse mich nur ungern für dumm verkaufen.
Zurück zur Tour. Ich kann es relativ schnell zusammenfassen, denn wie Whisky hergestellt wird findet man auf zahlreichen Seiten im Web. Glenmorangie hat aber eine Besonderheit: sie haben die höchsten «Stills» in ganz Schottland. Als «Stills» werden die kupfernen Brennkessel bezeichnet, in denen aus der Malz-Maische der Alkohol gewonnen wird. Die haben hier eine Höhe von 16 feet und 10 inches – umgerechnet etwa 5,10 m – was der Höhe einer ausgewachsenen Giraffe entspricht. Diesen Vergleich habe ich aber nicht selbst erfunden, das ist eines der Markenzeichen von Glenmorangie. Wer also auf dem Destilleriegelände oder im Merchandise-Shop immer wieder auf eine abgebildete Giraffe trifft, sollte sich nicht wundern.
Die Tour dauert rund eine Stunde und man bekommt alles zu sehen, was noch zu sehen ist. Denn viele der Produktionsschritte wurden aus Kostengründen längst ausgelagert. So wird beispielsweise die fertig gemälzte und getrocknete Gerste von extern angeliefert. Das sogenannte Mälzen geschieht normalerweise auf «Malting Floors». Dort wird das Getreide befeuchtet, wodurch es keimt. Enzyme in der Gerste wandeln die enthaltene Stärke in Malzzucker um. Durch Hitze wird die Gerste dann getrocknet und der weitere Keimungs-Prozess gestoppt. Dafür wird meistens heisse Luft verwendet, auf den schottischen Inseln häufig Torffeuer, was dem Getreide und natürlich schlussendlich dem Endprodukt die typische, rauchige Note verleiht.
Nun kommt also das getrocknete Getreide zur Destillerie, denn geschrotet (= gemahlen) wird es noch hier in der Destillerie. Hier beginnt unsere Tour und wir sehen – und riechen - die unterschiedlich gebrannten Gerstenkörner. Das Getreide-Mehl (Schrot) kommt in einen Maischebottich («Mash Tun») und wird dort mit heissem Wasser vermischt, um den vergärbaren Zucker aus der Gerste herauszuspülen. Der ganze Vorgang passiert für gewöhnlich drei Mal.
Die so entstandene Zucker-Schleim-Suppe wird nun in die «Washbacks» geleitet – den Gärtanks. Hier kommen die Hefekulturen hinzu, die für die notwendige Vergärung sorgen. Dort verbleibt sie in der Regel zwischen 2 – 3 Tage. Wir dürfen an einem der Washbacks riechen, und das haut uns fast von den Socken. Zunächst erscheint es fast geruchslos, aber wenn man seinen Kopf nur 2 cm tiefer in die Öffnung eines der riesigen Bottiche steckt, ist es wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ich kann mir ein erschrockenes «Uuahh» nicht verkneifen, als es passiert: es ist wie ein Stich in die Nase, der sich scheinbar bis zum Gehirn hochzieht. Den anderen geht es genau gleich. Die Hefekulturen produzieren nun Alkohol und Kohlendioxid, und das ist ganz schön heftig. Das Endprodukt dieses Vorgangs wird «Wash» genannt und hat einen Alkoholgehalt von etwa 8 – 11 %. Das kann nun destilliert werden.
Die fertige Brühe kommt nun also in die kupfernen «Pott Stills», oder einfach nur «Still», die hier – wie oben erwähnt – so gross sind wie eine ausgewachsene Giraffe. Insgesamt gibt es 16 Stück davon, wovon allerdings immer nur 4 Stück gleichzeitig in Betrieb sind. Nettes Detail am Rande: bei der Affenkälte ist der Raum mit den Stills wirklich eine Wohltat. Hier hat es etwa 40 Grad. Der Brennmeister, der als einziger im Raum sitzt, hat echt den Jackpot. Es wird also alles erhitzt, bis es kocht und verdampft. Der Dampf steigt in die Höhe, wo die Rohre verengt sind, sodass es wieder kondensiert und flüssig wird. Auch das passiert 3 Mal. Beim ersten Brennvorgang liegt der Alkoholgehalt nun bei etwa 20 %. Im zweiten und dritten Gang dann schon zwischen 60 und 70 %. Der gewonnene Alkohol wird im «Spirit Safe» dann noch weiter eingeteilt (Foreshot, Heart und Feints/Tail) – wovon für den Whisky nur der Mittelteil (Heart) verwendet wird. Aber zu detailliert möchte ich hier nicht mehr werden.
Nun ist er also da – der neue Whisky. Wir verlassen leider den kuschelig warmen Brennraum wieder und gehen raus in die Kälte, wo uns der Regen ins Gesicht peitscht. Doch der Weg lohnt sich, denn nun betreten wir die heiligen Hallen: das Whisky-Warehouse – der Lagerraum. Die Fässer, in die der Alkohol abgefüllt wird, kommen bei Glenmorangie (und auch bei fast allen anderen schottischen Whiskyhäusern) aus Amerika. Sie sind allesamt aus amerikanischer Eiche gefertigt, ausgebrannt und waren zuvor mindestens 2 Jahre lang bereits für die Lagerung von Bourbon in Verwendung, bevor sie nach Schottland kommen und dann für 8, 12 oder mehr Jahre die Lagerstätte der edlen Tropfen sind. Und wer sich fragt, woher die rauchigen, torfigen oder fruchtigen Aromen in den verschiedensten Whiskysorten stammen: aus dem Fass! Denn der frisch destillierte Alkohol ist nahezu geschmacklos. Ein Grossteil der Aromen stammt tatsächlich aus der Fasslagerung. Man geht davon aus, dass es etwa 80 % des typischen Geschmacks ausmacht.
Bevor der Whisky dann nach vielen Jahren endlich in die Flasche darf, wird er zur Nachreifung nicht selten für einige Monate in Sherry-Fässern gefüllt («double cask»), was den edlen Tropfen eine zusätzliche Note verleiht. Die Abfüllung in die Flasche passiert aber wiederum nicht hier, dafür wird der Whisky in eine Abfüllanlage nähe Edinburgh gebracht, wo er dann auch in den Verkauf oder Export gelangt.
Man sieht also, Whisky herstellen ist wirklich eine spannende Kunst, die vor allem eines erfordert: ziemlich viel Geduld. Wir können es auch fast nicht mehr erwarten und dürfen nun zwei der edlen Tropfen verkosten. Ich lasse mir meine Proben – wie einige andere auch aus unserer Tour – in kleine Gläschen abfüllen und geniesse zumindest eines davon am selben Abend noch, als wir am Stellplatz ankommen und ich nicht mehr hinters Steuer muss. Ein wirklich spannender Tag – auch wenn ich zugeben muss, dass ich es mir ein kleines bisschen «romantischer» vorgestellt habe. Aber gerade die grossen Destillerien sind mittlerweile Produktionsstätten, die vor allem effizient und straff ablaufen. Es gibt sie also nicht wirklich, die alten, knochigen Farmer aus der Jack Daniels-Werbung, die gemütlich vor dem Warehouse sitzen, Kreuzworträtsel lösen, Dame spielen und warten, bis der Whisky reif ist, um die Fässer dann auf ihre alten Pick-Up-Trucks zu laden.
Tain und Dornoch
Am nächsten Morgen statten wir der Stadt Tain einen Besuch ab – der Ort, in dem die Glenmorangie-Destillierie angesiedelt ist. Tja, Tain ist zwar ganz nett, aber so recht was anzufangen wussten wir eigentlich nicht. Wir dachten hier ist alles voll von Glenmorangie-Fan-Artikeln, aber als wir an einem Krims-Krams-Geschäft vorbeilaufen sehen wir in der Auslage 4 Whisky-Kartons als Deko – und keine davon ist von Glenmorangie. Naja, vielleicht kein Whisky-Liebhaber. Ansonsten finden wir in dem kleinen Dörfchen nichts nennenswertes, und so lassen wir Tain daher also bald hinter uns und fahren nach Dornoch. Diesen Tipp haben wir von einem schottischen Paar bekommen, die wir vor einigen Tagen in Portsoy kennengelernt haben. Die Fahrt dahin dauert nur gute 20 Minuten, und als wir ein paar hundert Metern vor unserem Endziel – dem Parkplatz am Strand – stehen, möchte unser Navi uns gerne über einen Golfplatz schicken. Ich überlege mir noch kurz, ob ich das wirklich machen soll, aber schlussendlich bin ich dann doch zu feige dafür. Wir nehmen einen kleinen Umweg und kommen dann dort an, wo wir hinwollten. Wir stehen am Strand, der durchaus schön ist – aber nach Portsoy und Lunan Bay liegt unsere Erwartungs-Latte doch ziemlich hoch. Wir machen einen Spaziergang und beschliessen, ins Ortszentrum zu laufen. Das kleine, verschlafene Dörfchen ist, wie Tain, sehr nett anzusehen, aber so richtig Spezielles finden wir nicht. Mit einer Ausnahme: die hiesige Kathedrale. Die wirkt zwar auch nicht schöner und edler als viele der anderen hiesigen romanischen, gotischen oder barocken Bauwerke, aber im Jahr 2000 war sie Mittelpunkt eines Blitzlichtgewitters. Denn keine geringere als Popstar Madonna liess hier ihren Sohn Rocco taufen. Zusammen mit Guy Richie und jeder Menge anderer Promis – darunter Gwyneth Paltrow, Stella McCartney, Sting sowie die damals noch frisch verheirateten Brad Pitt und Jennifer Aniston wurde der Gottesdienst in der kleinen Kathedrale in den schottischen Highlands abgehalten.
Heute ist natürlich nichts mehr davon zu sehen, und zu unserer Verwunderung deutet in dem kleinen Ort auch nichts darauf hin. Wir haben jedenfalls keinen Hinweis auf das damalige Staraufgebot gefunden. Wenn wir es also nicht gewusst hätten, hätten wir es vermutlich auch nie erfahren. Die Kathedrale selbst ist leider verschlossen, und so können wir sie nur von aussen betrachten – und fotografieren.
Von Dornoch aus könnten wir noch weiter in den Norden. Die North-Coast 500 – kurz NC500 – ist eine der berühmtesten Routen Schottlands. Doch wir merken schon nach kurzer Zeit, dass wir nicht die einzigen sind, die das wissen. Eine recht beständige Kolone an Mietfahrzeugen und (Miet)Wohnmobilen, Campern und Vans schiebt sich die Strasse entlang. Paradoxerweise tragen wir natürlich auch dazu bei, aber so ganz liegt uns das nicht. Wir haben kurz darüber nachgedacht, ob wir einen Teil der etwa 800 km-langen Strecke, die über die gesamte Nordküste und einen Grossteil des Nordwestens führt, fahren sollten. Aber dank der recht knapp bemessenen Zeit die uns zur Verfügung steht haben wir uns dagegen entschieden. Wir sind uns sicher, einiges verpasst zu haben – aber man kann nicht alles machen. Wir haben schon so viele Länder bereist und wir müssen es einfach eingestehen: man kann nicht jeden Winkel und jede Ecke bereisen, denn jedes Land hat so unendlich viel zu bieten.
Liebe Grüsse
Reiseroute
16. Mai 2022Tain
SCO17. Mai 2022Dornoch
SCO