Keltische Schönheit: Galizien
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Seine eigene Dummheit zu erkennen mag schmerzlich sein. Keinesfalls aber eine Dummheit.
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- BLUTIGER SAND | geschrieben von Rene
Der Playa de las Catedrales oder Praia das Catedrais, wie er in der Landessprache heisst, ist ein ganz besonderer Strand, der seine Schönheit nur bei Ebbe preisgibt. Aber er birgt auch Gefahren, die bei uns zu einem schmerzhaften Ende geführt haben.
Playa de las Catedrales
Wir fahren weiter zu einem Tipp, den wir von Sonja und Karl Heinz bekommen haben. Die beiden haben wir in Granada auf dem Stellplatz kennengelernt und seitdem verfolgen wir virtuell auch ihre Reise durch Spanien. Es geht zum Playa de las Catedrales in A Rochela. Das Besondere dort: der Strand ist bei Flut verschwindend klein, aber bei Ebbe, wenn sich das Wasser zurück zieht, gibt er unzählige Höhlen, Durchgänge und Tunnel frei, die dann begehbar sind. Ein phantastisches Naturschauspiel, das wir uns nicht entgehen lassen möchten. Für den Praia das Catedrais – wie der Strand in der Galicischen Landessprache heisst - muss man sich sogar online anmelden, um ihn besuchen zu können. Das geht aber relativ einfach und ist auch kostenlos unter diesem Link möglich. Was man folglich beachten muss sind die Zeiten von Ebbe und Flut, denn bei Flut macht es nicht viel Sinn, den Strand zu besuchen. Natürlich kann man dort auch baden, aber die meisten kommen zur Ebbe – dann laufen hunderte Besucher den Abschnitt rauf und runter.Wir übernachten in der Nähe des Strandes und wollen ihn am nächsten Tag gleich morgens besuchen. Die Ebbe ist für etwa 09.30 Uhr morgens vorhergesagt. Wir haben Glück mit dem Wetter, der Himmel ist klar und auch die Weitsicht phantastisch. Am Vortag war es noch leicht diesig. Wir stehen in mitteleuropäischer Pünktlichkeit schon um 08:30 Uhr bereit und erleben das Naturschauspiel hautnah. Aus dem Miniaturstrand mit etwa 70 x 70 Metern tut sich ein ganzer Küstenabschnitt auf, der in beide Richtungen nun auf etwa 800 Metern länge begehbar ist. Zwischen den Felsen gibt es immer wieder Durchgänge und Höhlen. Es ist wie ein Labyrinth. Nach jedem Durchgang öffnet sich ein neuer Strandabschnitt. Es ist phantastisch und kaum zu glauben, was bei Flut alles verborgen ist. Wir knipsen unsere Speicherkarten voll bis der Akku glüht.
Ein besonders schönes Motiv erfordert, dass ich auf einen Felsvorsprung klettere, um mich dann dort oben ablichten lassen kann. Es sind zwar einige Schilder angebracht, dass man die Felsen nicht beklettern soll, aber was wissen die schon. Ausserdem stehen die Anderen da auch alle oben, also muss ich da hin. Magdalena wartet vor dem Felsen, und ich gehe auf die Rückseite wo der Einstieg ist. Ich warte geduldig, bis ich an der Reihe bin. Vor mich drängen sich zwei spanische Kids, als eigentlich ich an der Reihe bin. Kinder eben. Na ja egal, so lange kann ich jetzt auch noch warten. Ich lass sie halt vor, mach mich dann bereit und klettere die zwei Meter in einem beherzten Satz nach oben. Was ich nicht so ganz beachtet habe ist, dass über mir eine ziemlich scharfe Felskante herausragt. Mein Versäumnis wird umgehend bestraft. Ich knalle mit meiner Birne im vollen Karacho an den Felsvorsprung. Ich sehe Sternchen, aber da mir das vor den Kindern unendlich peinlich ist tue ich gleich so, als ob gar nix gewesen wäre. Ganz cool eben. Aber irgendwie ist mir leicht schwindlig und ich beschliesse, vielleicht doch lieber erst nach unten zu gehen und dort zu warten, bis ich dran bin. Ein brennender Schmerz breitet sich auf meinem Kopf aus und plötzlich wird es um die Stelle warm und nass. Als ich auf meine Augenbraue greife weiss ich dann auch gleich warum: mir rinnt das Blut vom Kopf ins Gesicht und tropft auf den Boden. Jetzt bringt es auch nicht mehr viel so zu tun als wäre nichts. Ich stehe ein bisschen verloren da rum und blute den Boden voll. Ich hab nicht mal ein Taschentuch eingesteckt und kann nur tatenlos herumbluten. Nach vorne möchte ich nicht, weil sich meine Frau sonst Sorgen um mich macht. Aber verheimlichen kann ich das ohnehin nicht mehr – also mache ich mich mit meinem blutigen Kopf und Gesicht auf den Weg, als ein junges spanischsprechendes Pärchen mich komplett erschrocken und entgeistert anschaut. Sie fragt nur kurz ob alles in Ordnung ist und macht gleich ihre Tasche auf, um eine Rolle Klopapier rauszunehmen (wer hat das nicht dabei?). Ohne zu zögern fängt sie an, mir das Blut damit abzutupfen und die Wunde zu inspizieren. Wow, was wäre diese Rolle Klopapier vor einem Jahr, als die Pandemie los ging, wohl wert gewesen?
Sie erzählt mir dann, dass sie Krankenschwester ist. Glück im Unglück würde ich sagen. Nach zwei Minuten kommt dann auch meine Frau nach hinten, weil ich so lange nicht aufgetaucht bin. Ich sehe ihr sofort an, was sie denkt. Sie kennt mich ja mittlerweile ziemlich gut. Natürlich ist sie sofort besorgt und erschrocken, aber ich sehe auch gleich den imaginär erhobenen Zeigefinger und kann ihre Gedanken lesen in denen sie mir moralisch predigt, dass sie es mir ja gleich gesagt hat, dass ich da nicht rauf soll. Wie immer hat sie Recht. Die Krankenschwester rät mir, ich soll zum Eingang gehen, dort gibt es normalerweise einen «Medico», also einen Arzt oder zumindest einen Sanitäter, der die Erstversorgung übernehmen kann. Das machen wir dann auch. Beim Eingang frage ich nach einem Sanitäter, aber die Dame erklärt mir, dass die nur bis August hier sind. Es ist der 3. September. Grossartig! Aber zumindest haben sie ein Erste-Hilfe-Lager und wir tupfen die Wunde etwas ab bis die ärgste Blutung aufhört. Sie meint, entweder würde sie einen Krankenwagen rufen oder wir sollen in die nächste Klinik fahren und das versorgen lassen. Beides kommt für mich nicht in Frage. Wir bedanken uns herzlich und setzen uns dann auf die nächstgelegene Bank, wo ich mich etwas erholen kann. Magdalena beschliesst, dass es das war für heute und wir jetzt zum Wohnmobil gehen. Da protestiere ich natürlich sofort, denn wir haben noch längst nicht alles gesehen was wir sehen wollten. Nach einem leichten Ohnmachtsanfall, einer 30minütigen Diskussion und etlichen Versprechungen, die ich eingehen musste, kehren wir also zum Strand zurück und schauen uns noch den Rest an. Ich passe jetzt ein bisschen besser auf, mir den Kopf nirgends anzuschlagen. Es rentiert sich aber und wir werden mit wunderschönen An- und Ausblicken belohnt. Wir treffen auch das nette Paar noch einmal, fachmännisch begutachtet sie erneut meine Verletzung und stellt fest, dass ich daran wahrscheinlich nicht sterben werde.
Ich muss zu Ende bringen, was ich angefangen habe. Ich erkläre Magdalena, dass ich nochmals auf den Felsen klettern muss, der mir meine Wunde verpasst hat – weil wir ja aufgrund der Ereignisse das Foto nicht gemacht haben. Der Gesichtsausdruck meiner Frau schwankt zwischen Ungläubigkeit, Unverständnis und einem ziemlich krassen «Ganz sicher nicht, Freundchen». Jetzt nützen nicht mal mehr meine Überredungskünste und Versprechungen etwas – sie lässt mich um keinen Preis der Welt da nochmals hochklettern. Als Kompromiss vereinbaren wir, dass SIE hochklettert und ICH mache das Foto. Gut, ist eindeutig sicherer für mich. Ich kann es nicht lassen sie zu warnen, dass man dabei vorsichtig sein sollte.
Ich schaffe es, mir keine weitere Verletzung zuzuziehen und wir gehen gegen späteren Mittag wieder zurück zum Wohnmobil. Ich setz mich dann erstmal auf den Stuhl und mir wird bewusst, dass es ganz schön brennt in meinem Oberstübchen. Aufgrund der Ereignisse beschliessen wir spontan, dass wir noch einen Tag dortbleiben und eine Ruhepause einlegen. Zum Glück hat die fachmännische Erst- und Folgeversorgung tatsächlich Wirkung gezeigt, und in den folgenden Tagen verheilt die Wunde relativ gut.
Wir weichen etwas von unserem Besichtigungsplan ab und fahren am darauffolgenden Tag nur eine kurze Strecke zum Playa de Penarronda. Meine Frau macht sich Sorgen und möchte mir nicht zu viel zumuten. Es ist zwar – wie ich ihr versichere – vollkommen unbegründet, aber ich bin ja froh, dass sie sich so um mich sorgt. Umgekehrt würde es mir wahrscheinlich auch so gehen. Zum Glück ist sie bei Weitem nicht so tollpatschig wie ich. Da kommt mir der Gedanke, eine neue Statistik auf unserer Startseite aufzunehmen – die Anzahl unserer Verletzungen. Aber das erscheint mir dann doch etwas zu makaber. Muss nochmal drüber nachdenken.
Der Playa de Penarronda ist tatsächlich ein wunderschöner, breiter Sandstrand. Die Temperaturen sind für diese Jahreszeit und vor allem für diesen Breitengrad geradezu umwerfend. Wir bewegen uns in der sehr gemütlichen 25-Grad-Zone und verbringen den ganzen Nachmittag an der Küste. Zum Baden ist es uns etwas zu kalt, aber das hält viele der anderen Besucher nicht wirklich davon ab, in das frische Wasser zu hüpfen. Was uns aber schon seit einiger Zeit sehr beschäftigt ist die Frage, wie es mit unserer Reise weitergeht. Wir haben auf unserer Landkarte einige Punkte angestrichen, die im Landesinneren liegen. Aber auch an der Nordküste haben wir noch einiges zu sehen. Wir sind ja gerade mal in Asturien angekommen. Es ist September. Vom Wetter und von den Temperaturen haben wir geplant, dass wir bis ungefähr Oktober noch in der Region verbringen. Aber wir haben noch keine richtige Idee, wie es dann – vor allem für den bevorstehenden Winter – weitergehen soll. Der ursprüngliche Plan war, dass wir dann im Oktober oder November von Spanien nach Marokko übersetzen und dort die Wintermonate mit dem Wohnmobil verbringen. Aber die Nachrichten aus Marokko und die aktuelle COVID-Situation stimmen uns nicht gerade zuversichtlich. Wir hören und lesen, dass die Reiseaktivitäten massiv eingeschränkt sind, ja sogar die Einreise ist nur über riesige Umwege möglich, da der Fährverkehr ab Spanien zurzeit komplett ausgesetzt ist. Wir müssen uns also auch hier eine Alternative überlegen, denn das Ziel Marokko rückt aufgrund dieser Tatsachen immer weiter in die Ferne. Wie soll es also weitergehen?
Nun gut, erstmal müssen wir entscheiden, wohin wir fahren und ob wir die Punkte im Landesinneren auslassen. Der Nachmittag am Playa de Penarronda eignet sich aber perfekt dafür, alle Pros und Contras zu überdenken. Wir stellen fest, dass es unheimlich schade wäre, wenn wir nun durch das Land hetzen würden. Wir haben ja genügend Zeit, und je näher wir wieder Richtung alte Heimat fahren, umso kälter wird es. Zudem fehlt es uns hier an nichts und wir wissen gar nicht so recht, was wir «zuhause» dann eigentlich machen würden. Somit lautet unser nächstes Ziel: weg von der Nordküste, ab Richtung Süden und rein in das Landesinnere. Ziel: León!
Salamanca, im September 2021
Liebe Grüsse
Liebe Grüsse
Rene
Reiseroute
03. - 05. Sept. 2021Praia de las Catedrales
ES05. - 07. September 2021Playa de Penarronda
ES
Erfahrungsberichte