Besondere Menschen
23. Juni 2024Gletschereis und Wüstenwind
7. Juli 2024Abenteuer Kanada: Grenzen, Moskitos und Bären
Reisen – es lässt dich sprachlos, dann verwandelt es dich in einen Geschichtenerzähler.
30. Juni 2024 - Reisetagebuch Eintrag #159
- ABENTEUER KANADA:GRENZEN, MOSKITOS UND BÄREN | geschrieben von Rene
Kapitel
- Grenzübergang mit Nervenkitzel: Willkommen in Kanada
- Reduzierte Vorräte: Einkaufsbummel in Vancouver
- Freunde treffen: Sven, Tina und Zola in Vancouver
- Regenwälder und Reparaturen: Alice Lake Provincial Park
- Atemberaubende Wanderung: Joffre Lakes
- Wettergrau, Strassenlärm und Zugfanfare
- Moskitoterror
- Kulturelle Entdeckungen: Totempfähle in Gitanyow
Grenzübergang mit Nervenkitzel: Willkommen in Kanada
Grenzübertritte sind ja generell nicht ganz die Lieblingsbeschäftigung meiner Frau Magdalena. Aber es hilft nun mal nichts, wir müssen da durch, und unser Ziel lautet KANADA. Entsprechend ist ihr Stresslevel bei etwa 97,5 – Kategorie schwitzige Hände, Schweissperlen auf der Stirn und nervöses hin- und herrutschen auf dem Beifahrersitz. Ohje, wenn ich jemals etwas Kriminelles vorhätte, würden wir sofort auffallen, und jeder halbwegs geschulte Beamte würde schon aus 10 km Entfernung merken, dass wir etwas zu verbergen haben. Nur gut, dass wir tatsächlich nichts zu befürchten haben. Wir fahren von Bellingham, das schon ganz im Norden Washingtons liegt, an die kanadische Grenze. Heute ist in den USA ein Feiertag, in Kanada jedoch nicht. Wir wissen noch nicht so ganz, was das für den Grenzübertritt und vor allem für die Wartezeiten bedeutet. Die Spur teilt sich kurz vor dem Übergang in etwa 10 weitere Spuren auf, und jede führt zu einem Grenzkontroll-Gebäude. Was hier «normalerweise» los ist, können wir gut erahnen. Doch wir haben Glück. Es sind nur etwa 5 Spuren offen, und die Warteschlange ist nicht sehr lange. Wir sind ziemlich schnell am Schalter und lassen die Scheibe runter. Die nette kanadische Zollbeamtin scheint noch nicht ganz so sattelfest zu sein und stellt uns vorab mal die Routinefragen: Habt ihr Alkohol, Zigaretten, Drogen oder Schusswaffen dabei. Wir können alles verneinen, ausser die Frage nach dem Alkohol. Nachdem wir bei der letzten Einreise unglaubwürdig wirkten, als wir (wahrheitsgemäss) sagten, wir haben gar keinen Alkohol an Bord, habe ich mich vorsorglich mit einer Dose Bier eingedeckt. Die Antwort «Wir haben EINE Dose Bier dabei» war vermutlich nicht sehr viel glaubwürdiger als die Antwort beim letzten Übertritt. Aber sie nimmt es uns schlussendlich ab (die Antwort, nicht das Bier). Auch ansonsten haben wir nichts, was irgendwie illegal oder gegen das Gesetz wäre, und so lässt und die nette Dame nach ein paar Rückfragen bei ihren Kollegen dann weiterziehen. Das war wieder mal ein sehr angenehmer Übertritt, und erneut dürfen wir uns nun 6 Monate in Kanada aufhalten. Also liebe Mounties, wir sind wieder da und freuen uns auf euch.
Reduzierte Vorräte: Einkaufsbummel in Vancouver
Leider müssen wir unsere Essensvorräte vor jedem Grenzübertritt auf ein Minimum reduzieren. Wobei – na ja, nicht auf ein Minimum, aber manche Dinge sind einfach nicht erlaubt. Zum Beispiel frisches Fleisch, Gemüse und Früchte. Fleisch ist in Ordnung, solange es in der Verpackung verbleibt und die Herkunft eindeutig nachweisbar ist. Produkte aus den USA sind also generell in Ordnung. Nur da wir mit unserem Kühlschrank und dem Gefrierfach nicht unbeschränkt Platz haben, nehmen wir alles Gekaufte für gewöhnlich aus der Verpackung und legen es in den Kühlschrank, oder eben in das Gefrierfach. Und das mussten wir vor dem Übertritt loswerden, indem es auf unserem Tisch landete. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir müssen nun auf der kanadischen Seite einkaufen und uns wieder mit frischen Lebensmitteln eindecken. Wir steuern daher zunächst einen Walmart im Süden von Vancouver an. Anschliessend tue ich meiner Frau einen Gefallen und lasse mich dazu überreden, zu IKEA zu gehen. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, denn wir müssen heute noch zum Flughafen in Vancouver.
Freunde treffen: Sven, Tina und Zola in Vancouver
Für uns geht es ausnahmsweise (noch) nirgends hin – aber wir erwarten jemanden. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch daran, als wir in Lake Havasu im Herbst 2023 die Solaranlage und den Controller in unseren Ollie eingebaut haben, und so in Sachen Autarkie für ein komfortables «Update» gesorgt haben. Sven und Tina haben uns damals tatkräftig unterstützt und uns beim Einbau und Verkabelung der Technik geholfen. Seitdem haben wir sehr viel Zeit miteinander verbracht und es ist eine sehr schöne Freundschaft entstanden. Das letzte Mal haben wir sie in Baja California gesehen und auch dort verabschiedet, denn sie sind zunächst über die USA nach Vancouver gefahren und dann über die Frühlingsmonate zurück zu ihren Familien und Freunden in die Schweiz geflogen. Natürlich sind wir auch während ihrer Abwesenheit in Kontakt geblieben, und wir haben vereinbart, dass wir sie bei ihrer Rückkehr aus der Schweiz nach Kanada vom Flughafen abholen und zu ihrer «Blu» bringen, die sie vorübergehen in Vancouver in ein Storage gestellt haben. In ein paar Stunden – die wir nun also bei IKEA verbringen - ist es so weit, und sie erreichen Vancouver.
Organisatorisch klappt alles wunderbar. Sie brauchen zwar beim Zoll etwas mehr Zeit als gedacht, doch schlussendlich können wir sie wohlbehalten, gesund und (fast) munter wieder in die Arme schliessen und dann zum Storage bringen, wo Blu schon auf sie wartet. Gemeinsam fahren wir zum Burnaby Campground in der Umgebung von Vancouver, und nach einem kurzen Update auf den aktuellen Klatsch und Tratsch fallen die beiden und ihr Hund Zola nach den aufregenden Stunden in den wohlverdienten Schlaf. Nun steht unserem Nord-Nordamerika-Abenteuer nichts mehr im Weg, denn einen Grossteil der Strecke bis nach Alaska wollen wir gemeinsam machen.
Wir sind unglaublich verwöhnt, was die Wetterbedingungen angehen. Seit Beginn unserer Reise vor mehr als einem Jahr durften wir fast durchwegs Sonne pur geniessen. Natürlich nicht immer bei kuscheligen Temperaturen im zweistelligen Bereich, aber Beschweren dürfen wir uns nun wirklich nicht! Tja, und so kommt es eben schnell, dass man verwöhnt wird. Als wir in Bellingham eingetroffen sind und praktisch die ersten Tage seit langem im Regen verbracht haben, wurde uns erst wieder bewusst, dass es auch ganz anders sein kann. Und das sollte sich auch die nächsten Tage nicht ändern.
Regenwälder und Reparaturen: Alice Lake Provincial Park
Unser erster echter Stopp in Kanada ist der Alice Lake Provincial Park. Wir erreichen den hochgelobten und vielgepriesenen State Park bei strömenden Regen. Die Temperaturen sind nun – Ende Mai – auf unangenehme 10 Grad gesunken. Wir sehnen uns nach Sonne, doch wir bekommen genau das Gegenteil. Der Alice Lake Park ist im tiefsten der tiefen Wälder nördlich von Vancouver. Als wir beim grau-in-grau des Regens in den dunklen Wald einfahren, stellen wir fest, dass bei keinem der zig-Stellplätze auch nur ein Quäntchen Sonne durchdringen würde, sofern denn eine da wäre. Natürlich auch nicht an den beiden Plätzen, die wir gebucht haben. Wir stehen nun also nicht nur im Regen, sondern auch im Dunklen. Trotz allem machen wir das Beste daraus, nutzen die kurzen Regenpausen und reparieren nebenbei noch Svens Fenster, das kurz vor ihrer Heimreise im März in tausend Teile zersprungen ist. Glücklicherweise ist es Sicherheitsglas, und notdürftig hat es gehalten. Sven konnte ein neues Fenster organisieren und hatte es aus der Schweiz mitgebracht.
Am nächsten Tag können wir eine längere Regenpause dazu nutzen, eine Wanderung um den Alice Lake zu unternehmen. Das Gebiet ist wirklich sehr schön, und wenn die Temperaturen dazu passen würden, wäre der viele Schatten der Bäume eine Wohltat. Doch so hangeln wir uns von Lichtfleck zu Lichtfleck, um unsere Haut ein wenig durch die von Wolken verdeckten Sonne «wärmen» zu lassen. Und doch können wir an diesem Tag den ein oder anderen Sonnenstrahl bei den recht kurzen Regenpausen erhaschen.
Die Wetteraussichten für die nächsten Tage sind leider nicht rosig, doch wir haben 3 Tage im Campground gebucht, die wir nun sozusagen «absitzen». Unsere Solaranlage bringt ganze 0,0 Watt Leistung, und auch an Starlink und Internet ist dank des dichten Waldes um und über uns nicht zu denken. Gerne hätten wir die Zeit für Recherchen genutzt, doch daraus wird leider nichts. Uns drängt sich jetzt schon ein wenig die Frage auf, ob das mit dem Norden wirklich eine so gute Idee war?!
Doch natürlich geht es für uns weiter in den Norden. So schnell sind wir nicht kleinzukriegen. Leider sind wir vom Alice Lake Provincial Park nicht unbedingt begeistert. Dazu trägt auch bei, dass wir neben den 30 kanadischen Dollar (ca. 20 EUR) pro Nacht für «dry» (also ohne Versorgung, weder mit Strom noch mit Wasser, nur der «nackte» Stellplatz, aber immerhin mit einem «Feuerring»), sogar die Entsorgung (Ablassen von Schmutzwasser) nochmals extra kostet – auch wenn man als Gast im Park eingebucht ist. Das finden wir gelinde gesagt eine Sauerei. Aber gut, rund um Vancouver ist nun mal Touristengebiet, da wird geschröpft, was das Zeug hält. Es sollte ohnehin vorerst der letzte offizielle Campground sein, an dem wir stehen. Den Rest der Tour wollen wir gerne in der Natur stehen. Ohne grosse Wehmut verlassen wir den Alice Park und machen uns auf in Richtung Joffre Lakes, etwa 30 Kilometer östlich von Pemberton, in der kanadischen Provinz British Columbia.
Auf dem Weg dorthin finden wir eine Entsorgungsstation, an der wir freundlicherweise (offiziell) gratis unseren Grauwasser und den Schwarzwassertank leeren dürfen. Wir werden die kommenden Wochen noch feststellen, dass es – je weiter man sich von den Touristen-Hot-Spots entfernt - immer wieder Möglichkeiten gibt, vollkommen kostenlos zu entsorgen und sich auch mit Frischwasser zu versorgen. Wir sind nun also vollkommen unabhängig und müssen uns nicht mehr darum kümmern, uns in teure Campgrounds mit wenig Gegenleistung einzubuchen.
Atemberaubende Wanderung: Joffre Lakes
Nach einer Weile erreichen wir die Joffre Lakes. Leider sind auf dem Trail keine Hunde erlaubt. Deswegen bleibt Tina mit Zola im Camper, während wir 3 – Sven, Magdalena und ich – den Aufstieg in Angriff nehmen. Schon beim Betreten des Parks werden wir von der atemberaubenden Schönheit der Umgebung überwältigt. Die drei Gletscherseen, die auf verschiedenen Höhenlagen liegen, leuchten in einem intensiven Türkis, das von den mineralhaltigen Gletscherablagerungen stammt. Die Wanderung erstreckt sich über eine Strecke von etwa 10 Kilometern (hin und zurück) und umfasst insgesamt rund 370 Höhenmeter. Der Aufstieg zum höchsten der drei Seen, Upper Joffre Lake, ist zwar herausfordernd, aber definitiv jede Anstrengung wert. Auf dem Weg dorthin wandern wir durch üppige Wälder, vorbei an tosenden Wasserfällen und über felsige Pfade, die uns immer wieder mit spektakulären Ausblicken belohnen. Jeder Schritt führt uns näher an die strahlend blaue Oase, die umgeben von schneebedeckten Gipfeln und majestätischen Gletschern liegt. Die gesamte Wanderung dauert etwa 3 Stunden, und gerade bei den steilen Abschnitten war die ein oder andere kurze Verschnaufpause notwendig. Doch die frische, klare Bergluft und das beruhigende Rauschen der Natur begleiten uns, während wir die reine Schönheit und Ruhe dieses Ortes in uns aufsaugen. Oben angekommen, bietet der Upper Joffre Lake einen perfekten Ort zum Verweilen und Staunen. Wir sind tief beeindruckt von der Schönheit und der Kulisse, die sich uns bietet. Jeder Schritt hat sich gelohnt, und mit bestem Blick auf die umliegenden, schneebedeckten Berge und den noch halb zugefrorenen Upper Joffre Lake geniessen wir unsere wohlverdiente Jause. Ein wirklich sehr gelungenes erstes Highlight unserer Nord-Kanada-Tour.
Etwas ausgelaugt, aber sehr zufrieden und mit einer ordentlichen Menge digitaler Erinnerungen erreichen wir den Wanderparkplatz und machen uns auf zu unserem Nachtquartier in Lillooet. Die kleine Gemeinde bietet einen kostenlosen Campground, der neben einigen Trockentoiletten (Plumpsklos) und extra Feuerstellen mit Feuerholz sogar eine Frischwasserversorgung bietet – und das Ganze für lau. Es ist noch nicht lange her, dass Sven am Alice Lake Campground für 4 mickrige Stückchen Feuerholz satte 12 kanadische Dollar (ca. 8,20 EUR) bezahlt hat. An dieser Stelle herzlichen Dank an BC Hydro, die uns mit der kostenlosen Seton Lake Campsite einen wunderschönen Platz zum Ausruhen bieten! Unbestritten ist, dass Kanada (und auch die USA) campingbegeisterten Besuchern wirklich aussergewöhnlich viel zu bieten hat. Da müsste man in Europa lange suchen.
Wettergrau, Strassenlärm und Zugfanfare
Uns gefällt der Platz so gut, dass wir gleich 3 Tage bleiben. Leider ist es mit dem Wetter noch so eine Sache. Der Wind ist recht böig, und die dichten Wolken schatten die Sonne immer wieder ab. So will das Thermometer nicht wirklich Richtung Norden klettern, doch wir lassen uns die Stimmung nicht vermiesen. Als am zweiten Tag ein kleiner, unendlich süsser Schwarzbär eine Runde um unseren Campground dreht, sind wir völlig aus dem Häuschen. Natürlich halten wir gebührenden Abstand, da wir uns ziemlich sicher sind, dass die Mama nicht weit sein kann – am liebsten würden wir das kleine Wollknäul knuddeln und abknutschen. Aber das tun wir natürlich nicht, da unser Überlebenswille doch stärker ist.
Williams ist eine Birnensorte, und ein Ort in Kanada. Der Ort hat mit der Birne nix zu tun, aber es ist unser nächstes Zwischenziel. Die Distanzen werden nun etwas weiter, und die Besiedelung nimmt langsam, aber stetig ab. Die Strecken zwischen den Orten werden grösser, dafür wird die Einwohnerzahl der Dörfer, die wir durchqueren, kleiner. Daher machen wir wohl oder übel in Williams einen Halt und übernachten dort am Visitor Center. Na ja, es stellt sich heraus, dass es wohl nicht die beste Idee war, denn es ist eine der übelsten Nächte, die wir seit Monaten verbringen. Der Strassenlärm der vorbeifahrenden LKW’s ist extrem penetrant und die nervigen Staudruckbremsen, die die Fahrer wohl so unendlich lieben, niemand anderes als sie selbst toll findet und einen ohrenbetäubenden Lärm machen, rauben uns den Schlaf. Im Ernst: etwas, was es in Europa (glücklicherweise!!) nicht gibt gehört zu den Dingen, auf die wir sehr gerne verzichten könnten. Für uns ist es unbegreiflich, was einen Brummi-Fahrer antreibt, nachts so einen Lärm zu verursachen. Das ist tagsüber schon nervend und man muss sich die Ohren zuhalten. Und das schreibt jemand, der Dragster-Rennen liebt. Das will was heissen. Egal, man kann es nicht ändern.
Wir schlafen die halbe Nacht leider nicht und sind am nächsten Tag voll gerädert. Zum Glück gibt es nicht viele solcher Nächte. In Williams selbst treiben wir in einem «Thrift Store» eine Winterjacke für Magdalena um sage und schreibe 6 kanadische Dollar (etwa 4 EUR) auf – ein fantastisches Schnäppchen. Die Jacke steht ihr richtig gut und wird sie die nächsten Wochen begleiten. Und schlussendlich schaffen wir es auch noch zum Tim Horton’s. Das war schon bei unserem letzten Kanada-Besuch ein Highlight. Die Fast-Cafe-Kette hat es uns echt angetan. Der Cappuccino ist lecker und preiswert, und der Donut im «Boston Cream» Style gehört einfach dazu. Endlich schaffen wir es, auch Sven in einen Tim Horton’s zu schleppen. Er hat sich ja bisher recht erfolgreich gegen all unsere Empfehlungen gewehrt, doch jetzt – wo er mit uns unterwegs ist, hat er keine Chance mehr: er muss mit, ob er will oder nicht. Doch wie es der Zufall will, gibts keine Boston Cream mehr, und so müssen wir uns mit alternativen Donuts zu unserem Cappuccino begnügen.
Nächster Halt: Fraser Lake. Nein, kein Bahnhof. Das beschauliche kleine Dorf Fort Fraser am gleichnamigen See bietet wieder einen kostenlosen Stellplatz mit direkter Seesicht, in jeder Parzelle steht ein Tisch mit Bänken und es gibt Wanderwege bis zum Abwinken. Alles wäre so schön, wäre da nicht der Zug, der keine 50 m hinter uns vorbeifährt. Also doch ein Bahnhof. Na ja, nicht ganz. Aber ein unbeschrankter Bahnübergang. Jeder, der schon mal in Amerika war weiss, was Züge hier machen, wenn sie auf einen Bahnübergang zufahren. Für all die anderen, die es nicht wissen: sie Hupen. Nein, Hupen ist eigentlich nicht das richtige Wort dafür. Mit dem Zughorn könnten sie Tote aufwecken. Das ohrenbetäubende Dröhnen ist meilenweit zu hören. Und wir sind keine 50 m weg. Der Zug fährt Tag und Nacht etwa alle 1 ½ Stunden einmal vorbei, und wenn ich es nicht besser wüsste würde ich behaupten, beim Campingplatz gibt der Zugführer nochmal alles und trötet, was das Zeug hält. Na ja, manche sind hier noch wie kleine Jungs mit ihren Spielsachen. Egal ob die LKW-Fahrer mit ihren Staudruckbremsen oder die Zugführer mit ihrem Horn. Wenn’s Lärm macht, ist es lustig (auch wenn es die anderen nervt). Ich frage mich ernsthaft, wie die Anwohner das hier aushalten, denn aus meiner Sicht kann man hier keine Nacht durchschlafen. Das Ding ist laut wie ein Raketentriebwerk. Na ja, aber ansonsten ist der Platz wirklich wunderschön und idyllisch. Der frische, kühle Wind müsste zwar nicht sein, und wenn die Wolken der Sonne etwas Platz machen würde, wäre das auch ganz gut. Aber so müssen wir die meiste Zeit leider drinnen verbringen. Trotzdem – nach Williams ist das eine echte Wohltat. Als wir doch einmal etwas windgeschützt mit unseren Mänteln draussen sitzen, kommt eine ältere Lady vorbei und wundert sich neugierig, was Sven wohl für ein Kennzeichen an seinem LKW hat. Er hat ja sein Fahrzeug aus der Schweiz hergebracht und fährt folglich mit einem entsprechenden Kennzeichen. Aber auch sonst wird er nahezu täglich auf das (für diese Breitengrade) ungewöhnliche Fahrzeug angesprochen. Die nette Dame hat dann schlussendlich noch einige Tipps für Sehenswürdigkeiten auf Lager, die wir sehr gerne annehmen und in unsere «To-Do»-Liste eintragen.
Moskitoterror
Im Moment gibt es noch nicht sehr viele Highlights auf der Strecke, und wir hangeln uns mehr oder weniger von Schlafplatz zu Schlafplatz. Doch auch das ist schön, und wir geniessen dann die Zeit mit Sven und Tina. Vom Fraser Lake geht es weiter nach Hazelton. Hier kommen wir das allererste Mal mit den gefürchteten Moskitoschwärmen in Berührung. Wir haben schon jede Menge Schauergeschichten gehört, die wir mittlerweile fast als Legenden abgetan haben. Doch nun wird es bitterer Ernst: wir fahren an ein Flussbett, und als ich aussteige, werde ich umgehend von den Plagegeistern attackiert. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es fühlt sich an wie in Alfred Hitchcocks «Die Vögel», nur eben mit Mücken. Ich sollte mir die Rechte für «Die Mücken» sichern lassen. Sie stürzen sich regelrecht auf mich, und jede nackte Stelle meiner Haut wird sofort belagert und ausgesaugt. Ich hasse die Biester. In kürzester Zeit zähle ich 8 Stiche, und die Viecher sind riesig. Ich flüchte sofort zurück ins Auto. Wir haben seit Monaten keinen Mückenspray mehr gebraucht – und wir haben immer noch die erste Dose, die wir vor über einem Jahr gekauft haben. Das sollte sich in den nächsten Wochen leider drastisch ändern.
Sven und Tina kommen erst etwas später dazu. Mit ihrem 4x4 Vario können sie recht einfach zum Flussbett vordringen, während wir mit unserem Ollie lieber etwas weiter oben stehen bleiben. Wir hüllen uns in eine Wolke Mückenspray und können so zumindest halbwegs ungestört den Nachmittag verbringen. Ein sehr guter Weg, um Mücken zu vertreiben ist ein Lagerfeuer. Das muss man Sven und mir natürlich nicht zweimal sagen, und nachdem wir einiges an Holz zusammengetragen haben, wird auch gleich ein ordentliches Feuer entzündet. Ob es wirklich hilft, ist fraglich – aber zumindest haben wir unseren Spass daran. Das müssen wir am nächsten Tag natürlich gleich wiederholen, und da bestücken wir unser Feuer dann auch gleich mit sehr leckerem Grillgut. So muss das sein.
Nachdem wir die erste Nacht aus uns unbekannten Gründen noch relativ gut von den Moskitos verschont geblieben sind, haben sie in der zweiten Nacht wohl einen Geheimgang in unser Wohnmobil gefunden. Gerade noch dachten wir, es könnte nicht schlimmer als in William werden, werden wir eines Besseren belehrt: Irgendwann hören wir auf zu zählen. Im Halbstundentakt schwirrt ein neuer Blutsauger um unsere Ohren und wir werden wachgehalten. Wenn wir eine erschlagen, sind es 30 Minuten später zwei neue. Es fühlt sich an, als wären alle Fenster offen – doch wir haben alles zu und verriegelt. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wo die Biester reinkommen.
Komplett kaputt und fertig packen wir in aller Herrgottsfrüh unsere Sachen zusammen und flüchten von der Moskitoherde. Wir fahren in den Anderson Flats Provincial Park, der keine 20 Minuten weg ist, und holen dann den dringend benötigten Schlaf nach. Natürlich ist es schon hell, denn in diesen Breitengraden dämmert es schon um 4 Uhr morgens. Wir informieren Sven und Tina von unserer Flucht und verabschieden uns dann ins Land der mückenlosen Träume. Um 10 Uhr sind wir halbwegs ausgeschlafen und bereuen es, dass wir nicht gleich an diesen wunderschönen Platz gefahren sind. Und hier – wie von Zauberhand – existiert kein einziger Moskito. Eine Wohltat, wir können ganz entspannt und beruhigt draussen sitzen. Der Platz überzeugt uns schlussendlich so sehr, dass wir gleich noch einen weitere Nacht dranhängen. Und da sich die Temperaturen endlich im Aufwärtstrend befinden, wagen wir sogar einen kurzen Sprung in das eiskalte Wasser des Flusses. Die Aufgabe des Tages ist nun, das Wohnmobil «mückendicht» zu bekommen, was angesichts der doch sehr fragwürdigen Bauweise der amerikanischen Wohnmobile nicht gerade leichtfällt. Wir versuchen, jedes noch so kleine Zugloch zu stopfen oder mit etwas zu verkleben. Wir haben festgestellt, dass sich die Plagegeister einen Weg durch die Klimaanlage bahnen. Auch die Luftzufuhr für die Raumheizung wird mit einem Stück Netz so verklebt, dass hier nichts mehr von draussen nach innen dringen kann. Unter dem Waschbecken im WC ist ebenfalls eine offene Stelle, die wir mit Thermofolie abkleben. Jedes noch so kleine Loch wird versiegelt. Lediglich die Belüftungsanlage des Fahrzeugs selbst können wir nicht ganz zukleben, aber zumindest schliessen wir ab sofort abends alle Lamellen. Lediglich im Fussraum und bei der Belüftung für die Windschutzscheibe könnte nun noch etwas eindringen. Wir werden bald sehen, ob wir erfolgreich waren.
Kulturelle Entdeckungen: Totempfähle in Gitanyow
Wir machen uns weiter auf in den Norden. Und kommen beim kleinen, beschaulichen Örtchen Gitanyow vorbei. In Gitanyow, einem Dorf der Gitxsan First Nation in British Columbia, bestaunen wir die beeindruckenden Totempfähle, die eine reiche kulturelle Geschichte erzählen. Diese kunstvoll geschnitzten Pfähle, einige über 150 Jahre alt, stellen Familien- und Stammesgeschichten, spirituelle Wesen und bedeutende Ereignisse dar. Der Besuch in Gitanyow ermöglicht es uns, die lebendigen Geschichtsbücher und spirituellen Symbole aus nächster Nähe zu betrachten und mehr über die Traditionen und Lebensweisen der Gitxsan zu erfahren.
Leider sieht alles zusammen aber doch etwas heruntergekommen aus, weswegen wir nach einem eher kurzen Fotostopp die Weiterreise antreten.
Liebe Grüsse
Reiseroute
27. – 28. Mai. 2024Vancouver
CA28. – 31. Mai. 2024Squamish
CA01. – 04. Juni. 2024Lillooet
CA04. – 05. Juni. 2024Williams
CA05. – 07. Juni. 2024Fort Fraser
CA07. – 10. Juni. 2024Hazelton
CA